Fuerstin der Bettler
sagte sie nur und humpelte weiter. Jetzt wieder mit ihrem Stock in der Hand, den sie zuvor unter ihren Röcken versteckt hatte.
»Ich bin nicht die Röttel!«, zischte Hannah.
»Das solltest du aber. Du siehst ihr fast ein bisschen ähnlich. Und wenn du auch nicht die Röttel bist, so hast du doch ihre Bettelmarke. Nur darauf kommt es an. Die Frauen werden dich annehmen oder ablehnen. Es liegt an dir selbst.«
»Warum hieß sie eigentlich Röttel?«, fragte Hannah und folgte langsam kauend der Bettlerin.
»Niemand weiß, wie die Frau wirklich geheißen hat. Irgendwann ist sie wie viele andere hier in der Gosse von Augsburg gestrandet, und die Bettler haben ihr einen Namen gegeben. Vielleicht ist sie irgendwann einmal eine Anne gewesen oder eine Katharina, eine Gertrud oder Sarah – aber das war vor ihrer Zeit auf der Straße. Röttel hat sie geheißen. Nur Röttel. Nach dem, was sie getan hat, wie sie aussah, was man ihr zutraute. Sie hatte rotes Haar, wenn es gewaschen war.«
»Und Ihr? Ihr heißt Schwarze Liss, wegen des Mals?«
Die nickte nur, ohne stehen zu bleiben.
»Wegen des schwarzen Hexenmals – und weil ich irgendwann eine Elisabeth gewesen bin. Damals ...« Sie führte denSatz nicht zu Ende, und Hannah fragte nicht nach, denn etwas anderes fesselte ihre Aufmerksamkeit.
Sie roch den Ort, noch ehe sie ihn sah. Kalter Rauch und eine fettige Feuchtigkeit lagen zwei Wochen danach immer noch in der Luft. Als sie in die Gasse einbogen, in der ihr Haus gestanden hatte, trafen sie auf einen Büttel.
»Gesindel hat hier nichts zu suchen«, fuhr er sie an und stieß seine Hellebarde in den Boden.
Hannah erstarrte. Auch die Schwarze Liss blieb stehen und betrachtete den Mann. »Zu alt für mich«, sagte sie gelassen. Dann drehte sie sich um und murmelte: »Hätte nicht gedacht, dass er das Haus bewachen lässt.«
Hannah verfolgte das Schauspiel verwundert. Sie durfte nicht zu den Ruinen ihres eigenen Hauses? Hinter dem Büttel ragten einige schwarze Balken in die Gasse, und die Kiesel am Boden waren rußgeschwärzt.
Die Schwarze Liss zog Hannah am Arm. »Wir schauen uns das Spektakel von oben an«, sagte sie. »Bleib ruhig.«
Hannah hätte am liebsten losgeschrien. Sie hätte sich am liebsten auf den Kerl gestürzt, um an ihm vorbeizukommen. Aber sie wusste sehr wohl, dass sie ihm nicht gewachsen war. Und noch einmal eine Woche in den Hexenlöchern würde sie nicht durchhalten. Also ließ sie sich von der Bettlerin mitziehen.
Sie liefen ein Stück zurück und versuchten es dann an einem Aufgang zu den Wehrgängen der Stadtmauer. Als die Schwarze Liss die Treppe betreten wollte, hielt Hannah sie zurück.
»Das ist verboten«, mahnte sie.
Überrascht sah die Bettlerin Hannah an. »Natürlich ist das verboten. Und?«
»Ich ... ich will nicht zurück in die Hexenlöcher.«
Zuerst starrte die Schwarze Liss sie verblüfft an, dann lachte sie schallend, fasste sich jedoch sofort wieder. »Es ist fast allesverboten, was wir tun, Röttel. Fast alles. Wenn du dich durch diese Stadt bewegst und die Bettelmarke an deiner Kleidung trägst, kann man dich wegen allem und jedem in den Turm werfen. Dein bloßes Dasein ist gegen die Gesetze der Stadt.«
Sie drehte ihr den Rücken zu und begann die Treppe hinaufzusteigen.
Als Hannah ihr nicht nachkam, hielt sie kurz inne. »Es ist verboten, du hast recht. Aber in ruhigen Zeiten wie diesen schert sich kaum jemand darum.« Mühsam schnaufend und unter heftigem Stöhnen kletterte die Schwarze Liss die hölzernen Stufen empor bis zum Wehrgang. Niemand hinderte sie daran.
Hannah sah von unten her zu, wie sie auf den Wehrgang hinaustrat. Ihre Beine waren wie festgewachsen. Ihr bisheriges Leben hatte in der Einhaltung von Regeln bestanden. Wenn sie zurückblickte, war es eingeengt gewesen von einem ganzen Staketenzaun von »Tu-dies-lass-das«-Geboten, die sie in die Richtung einer städtischen Bürgerseele gelenkt hatten. Selbst ihr Mann hatte sie darin bestärkt, sich nach den Gewohnheiten und Gegebenheiten zu richten. »Als Apothekerin schauen sie auf dich!«, hatte er sie beschworen, wenn sie zu spät in die Messe gelaufen oder eine zu moderne Haube getragen hatte. Sie waren umgeben gewesen von festgeschriebenen und selbstauferlegten Gesetzen – und sie hatte es nie als bedrückend empfunden, sondern als gottgegeben. Jetzt aber verweigerte ihr die Erziehung den Gehorsam.
»Kommst du endlich?«, blaffte es von oben herunter.
»Gleich«, murmelte Hannah und
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