Full House: Liebeserklärung an die Chaosfamilie (German Edition)
nach Hause und freust dich auf einen gemütlichen Abend. Keine Verpflichtungen. Kein Stress. An der Haustür wartet schon schwanzwedelnd der Hund, aus der Küche duftet es, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Die Kinder stehen frisch gebadet in der Tür, die Ehefrau hat sich was Hübsches angezogen und …
Okay, zugegeben, ist ein bisschen übertrieben.
In Wahrheit hat der Hund wieder in den Flur gepisst, der Kleine hat zum zehnten Mal das Butterbrot in den CD-Player gesteckt, und die Ehefrau ist mehr als frustriert, denn eigentlich wollte sie zum Sport.
»Hatten wir nicht abgemacht, dass du heute eine Stunde früher nach Hause kommst?«, schallt es mir entgegen.
Shit, denke ich, hatte ich ganz vergessen.
Zugegeben, ich war mit einem Kumpel noch ein, zwei Bier trinken, aber das muss sie ja nicht gleich wissen.
»Oh, tut mir leid. Der Chef wollte, dass ich noch etwas für ihn erledige«, lüge ich und stecke mir ein TicTac in den Mund. Wegen der Bierfahne, die ich bei jedem Atemzug vor mich her trage.
An und für sich hat ein netter Abend im Kreise der Familie schon was für sich und ist immer ein Gewinn. Für Körper, Geist und Seele. Wenn man nichts Besonderes vorhat. Wenn man sich drauf einlässt. Wenn nichts passiert.
Tut es aber. Es passiert nämlich immer etwas. Vor allem wenn eigentlich nichts passieren soll. Freitagabend ist meistens der »Papa, ich hab sooo Bauchweh«-Tag, wie früher der Montag der Miracoli-Tag war. Alles, was mit Krankheit und Ärzten zu tun hat, geschieht nämlich immer gegen Ende der Woche, damit das Wochenende nicht langweilig wird. Da verbringt man dann viele Stunden in Krankenhauswartezimmern, umgeben von hustenden, keuchenden, weinenden Kindern. Deutlich ausgedrückt: mit Kindern, die Krankheiten haben, die wahrscheinlich tierisch ansteckend sind. Meistens finden diese Krankenhausbesuche im Morgengrauen statt oder wenn man eigentlich gerade schlafen gehen wollte. Wer keine Kinder hat, hat keine Ahnung, wie belebt so eine Kinderklinik ist, wenn es draußen dunkel ist und alle Menschen schlafen. Da sitzt man nun mit einem quengelnden Kind, versucht es zu beruhigen mit Sätzen wie: »Der Onkel Doktor kommt gleich, und dann hast du gleich kein Aua mehr.«
Der Onkel Doktor kommt aber nicht (wahrscheinlich macht der gerade mit einer hübschen Krankenschwester rum oder hat sich im Bereitschaftsraum mal ein paar Stunden aufs Ohr gelegt). Stattdessen kommt eine schlecht aufgelegte, übermüdete Schwester und ruft laut: »Der Nächste,bitte, Herr Iciduchhavovies mit Kind in Untersuchungsraum zwei!«
Prima, jetzt sind all die Kinder aufgewacht, die bis eben selig geschlummert haben, und beginnen nun auch zu weinen. Dazu kommt, dass die Schwester den Namen Iciduchhavovies dermaßen verfremdet ausgesprochen hat, dass sich alle im Wartezimmer, deren Namen mit I beginnt, angesprochen fühlen und aufspringen.
Da melde ich mich auch mal, vielleicht haben wir Glück, denke ich. Richter ist ja ganz nah am I. Und stehe ebenfalls auf. Kennen Sie das, wenn es plötzlich ganz still wird und Sie das Gefühl haben, alles glotzt nur Sie an? Es glotzen uns tatsächlich alle an. Einige der Eltern tippen sich sogar mit dem Finger an die Stirn, was ich schon ein wenig ungerecht finde. Man kann sich ja mal verhören. Ich sinke langsam zurück auf meinen Stuhl.
»Sie, Herr Richter, sind noch lange nicht an der Reihe!«, meint die Krankenschwester, sieht mich strafend an und verlässt den Raum. Auch mein kleiner, eigentlich kranker Sohn sieht mich kopfschüttelnd an. »Papa, das war ja wohl megapeinlich«, zischt er mir zu.
Als wir dann im Morgengrauen endlich aufgerufen werden, geht alles ganz schnell. Diagnose: Mein Kleinster hat zwei Legosteine verschluckt. Einer rot, der andere gelb, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob die Farbe irgendetwas mit den Beschwerden zu tun hat. Egal, man gibt uns ein Abführmittel, und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das Ganze ausgeht oder, besser gesagt: wieder rauskommt.
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Tagebucheintrag: 13. Mai,
0:30 Uhr – Büro
Morgen beginnt ein neuer Abschnitt im Leben meines Sohnes. Er kommt in den Kindergarten. Wer eigentlich hat dieses Wort erfunden? Ein Garten verspricht Erholung und Ruhe. Der Ort, an dem unser Sohn die nächsten Jahre verbringen wird, ist genau das Gegenteil. Wahrscheinlich ist damit der Moment gemeint, in dem wir unsere Kleinen dort abgegeben haben, denn jetzt beginnt tatsächlich die ultimative Ruhe. Und die fängt bereits auf der
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