Full House: Liebeserklärung an die Chaosfamilie (German Edition)
ankommen, hat Ryan in die Hose gemacht. Jetzt ist guter Rat teuer. Nach Hause geht zeitlich nicht mehr, ihn mit nasser Hose abgeben geht auch nicht, was tun? Beate hat eine originelle, wenn auch abartige Idee. Hose und Unterhose runter, beides aus dem Fenster halten und mit dem Wagen noch eine Runde drehen. In der Hoffnung, dass niemand unseren Wagen oder mich erkennt, sinke ich tief in meinen Sitz. Abgelenkt, vergesse ich den mir längst bekannten Blitzer. Ein denkwürdiges Bild: Ein Wagen fährt mit überhöhter Geschwindigkeit über die Schnellstraße. Auf der rechten Seite streckt eine Blondine eine sich im Fahrtwind aufblähende Kinderjeans aus dem Fenster, während auf der Fahrerseite eine ausgestreckte Hand eine Unterhose mit aufgedruckten Mickymäusen hält. Der Fahrer, so hoffe ich, ist nicht zu erkennen.
Noch sind wir in der Zeit, haben genau fünfzehn Minuten bis zum allgemeinen Eltern-treffen-Eltern-treffen-Kinder-Event. Eltern, die keinen wirklich interessieren. Mein Kind ist sowieso das schlaueste, begabteste von allen!, denken wahrscheinlich die meisten. Merkwürdigerweise ist inzwischen die Hose trocken, die Unterhose aber nicht, also entschließen wir uns, Ryan nur die Hose anzuziehen. Wie sich später herausstellen wird, ist das ein schwerer Fehler.
Als wir am Kindergarten vorfahren, sieht es aus wie bei einem Popkonzert. Überall stehen wild geparkte Fahrzeuge, aus denen Eltern mit ihren Kindern steigen – oder heulende Zwerge aus dem Wagen zerren. Der Bürgersteig ist dermaßen zugeparkt, dass wir unseren Weg über die heftig befahrene Hauptstraße nehmen müssen. Geht ja gut los, denke ich mir, aber o Wunder, wir betreten den Kindergarten, ohne größere Verkehrsunfälle provoziert zu haben.
So weit, so gut. Frau Böse, die Kindergärtnerin, empfängt uns freundlich und kniet sich vor Ryan. »Na, Rann, freust du dich auf deinen ersten Tag hier bei uns?«
»Nö«, kommt die knappe Antwort. »Er heißt Ryan«, meint Bea, wird aber sofort wieder unterbrochen. »Papa,ich find das scheiße hier, hier will ich nicht bleiben!«, meint er lapidar und klammert sich an mein Bein. Wie auf einen Schlag verstummen alle Gespräche, und wir werden der Mittelpunkt des Interesses im gesamten Kindergarten. Eigentlich erstaunlich, dass heutzutage das Wort Scheiße überhaupt noch jemand hinterm Ofen hervorlockt. Wahrscheinlich ist es der Kindermund, der so ein Wort interessant macht.
Die werden ja zu Hause eine Sprache haben! Richtige Prolls!, denken die meisten anwesenden Eltern und sehen uns an, als würden sie innerlich den Kopf schütteln. Ich schaffe es mit Mühe, dass nur meine Ohren vor Scham rot werden, Beate gelingt das wie immer mühelos. Sanft schiebe ich meinen Sohn in Richtung Kindergärtnerin, die sofort ihre Lockmittel in Position bringt. »Guck mal, Rann, ich habe hier einen gelben Luftballon. Wer den von euch als Erster kaputt kriegt, bekommt eine Belohnung.«
»Kaputt kriegen« ist genau das richtige Motto, um unseren Sohn zu motivieren. Heimlich winkt uns Frau Böse zu, wir sollen schnell den Rückzug antreten und Ryan bei ihr lassen. Wir folgen ihrem Rat und verschwinden leise. Ryan kümmert sich nicht mehr um uns, sondern jagt dem Luftballon hinterher.
Als wir vier Stunden später unseren Sohn wieder abholen wollen, erfahren wir, dass er nicht nur den Luftballon kaputt gemacht hat. Ein empörter Vater schießt auf mich zu und gestikuliert wild: »Ihr Sohn hat den teuren Gummiadler, den ich gestern gekauft hatte, im Klo runtergespült!« Kleine dramatische Pause, als hätte es sich um einen echten Adler gehandelt. »Ich erwarte, dass Sie den Adler sofort nachkaufen und ersetzen!« Er drückt mir seine Visitenkarte in die Hand und verschwindet. Etwas ratlos überlege ich, wo der blöde Gummiadler wohl herkam, aber wie so oft weiß Bea Rat.
Gerade als wir den Kindergarten verlassen wollen, bittet uns die Leiterin Frau Semmten in ihr Büro. Ohne Umschweife kommt sie auch gleich zur Sache.
»Liebe Familie Richter. Wir freuen uns sehr, dass Sie uns vertrauen und Rein (Bea zuckt kurz. Mit einem Blick flehe ich sie an, sich nur dieses eine, einzige Mal zurückzuhalten) zu uns schicken, aber wir haben hier einige Regeln, an die sich alle zu halten haben. Wir verlangen, dass die Kinder, die zu uns kommen, anständig angezogen sind!« Der Blick, den ich fünf Sekunden zuvor Beate zugeworfen hatte, hat bereits an Wirkung verloren. »Was wollen Sie damit sagen? Wir ziehen RYAN, so heißt er
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