Full House: Liebeserklärung an die Chaosfamilie (German Edition)
Rückfahrt im Wagen an. Der Kleine schnallt sich nicht selbst ab, die Gefahr, dass er mir während der Fahrt über die Schulter kotzt, ist gebannt, und auch akustisch beginnt die Ruhephase. Unsere Clara zum Beispiel hatte in ihren frühen Jahren die Angewohnheit, ständig »Brrrr-Hopp-Brrrr-Hopp« zu rufen. Nichts und niemand konnte sie daran hindern. Hören Sie mal Mozart, unterlegt mit Brrrr-Hopp-Brrrr-Hopp …
Die andere Variante war, dass sie ständig murmelte: »Keiner liebt mich – ich kann so nicht weiterleben!«
Anfangs befürchtete ich, eine schwere Psychose sei im Anmarsch, aber ich irrte mich. Clara hatte nur Bea bei einer rührseligen TV-Schmonzette über die Schulter geguckt, als die verlassene Heldin genau diese Worte flüsterte. Der Sinn war ihr fremd, aber ihre weiblichen Gene hatten sofort erkannt, was diese Worte bei ihren Mitmenschen auszulösen vermochten.
Wahrscheinlich bin ich aufgeregter als Ryan, wie das Unternehmen Kindergarten wohl ausgehen mag.
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Kindergarten
Meine innere Uhr schläft noch tief, als etwas Hartes auf meinen Bauch springt. Das Harte hat eine Stimme, ist unser Sohn: »Kindergarten, Kindergarten, juhu!«, brüllt er, während er auf meinen Weichteilen Rodeo reitet. Wo ist meine Brille, denke ich und versuche ihn abzuschütteln, was mir nur schwer gelingt. Inzwischen ist auch Beate aufgewacht, schielt auf die Uhr, und das blanke Entsetzen spricht aus ihren Worten: »Ryan, es ist vier Uhr sechsundzwanzig, um diese Zeit schlafen noch alle!«
»Is nich wahr, is nich wahr, ihr seid schon wach und ich auch.«
»Diese unnütze Logik muss er von dir haben«, meint Beate, als ob ich was dafür könnte, dass unser Sohn bereits jetzt das Bedürfnis hat, in den Kindergarten zu gehen.
»Um diese Zeit schläft meine Logik und überhaupt alles an mir. Ryan, du musst noch mal ins Bett. Es ist viel zu früh für den Kindergarten, und jetzt geh sofort in dein Zimmer.«
Ja, ich kann auch knallhart sein. Ich drücke Ryan einen Schokoriegel in die Hand (jeder ist käuflich) und schiebe ihn Richtung Kinderzimmer. Schnell schließe ich hinter mir die Tür, hauptsächlich um meinen Bestechungsversuchzu kaschieren. Sie hat nichts bemerkt, denke ich. Nix da, schlaftrunken schießt sie mir ihren Kommentar entgegen. »Klasse Erziehung! Heute Schokolade, morgen Alkohol und Zigaretten, und wer weiß, was danach kommt!« Erstaunlich, so gesprächig ist meine Frau um diese Zeit sonst nie.
Haben Sie kleine Kinder? Leiden auch Sie unter Schlaflosigkeit? Ehrlich gesagt, unsere große Hoffnung besteht darin, dass ab heute Ryan in den Kindergarten geht, was Beate und mir ganz neue Perspektiven eröffnet. Einer von uns beiden wird Ryan in den Kindergarten fahren, und wer das ist, losen wir am Abend vorher aus. So auf jeden Fall ist unser Plan. Denken wir, aber wie immer wird es ganz anders kommen.
An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken. Aus dem Kinderzimmer sind ganz merkwürdige Geräusche zu hören. Ein Kratzen, ein Schaben – und immer, wenn ich kurz davor bin, wieder ins Koma zu fallen, sieht sich unser Sohn bemüßigt, mit seinem Holzhammer Legosteine zu bearbeiten. Davon hat er gefühlte fünftausend, abzüglich der beiden, die er vor einiger Zeit verschluckt hatte. Von denen haben wir uns tränenreich verabschiedet, als sie nach einem Tag und einer Portion Abführmittel wieder das Tageslicht erblickten. Ryan bestand auf einem formvollendeten Begräbnis im Garten. Legosteine im Garten begraben. Wer das hört, glaubt zu Recht, dass wir einen Vogel haben. Ich glaube, dass alle Menschen mit Kindern nach einiger Zeit einen Vogel haben.
Endlich läutet der Wecker. Wobei, die Mühe hätte er sich sparen können. Beate und ich sind bereits hellwach und, ich gebe es zu, auch ein bisschen aufgeregt. Unser Kleiner im Kindergarten, ob das gut geht?
Beide springen wir auf und machen uns fertig, denn heute wollen wir ihn gemeinsam zum Kindergarten bringen.
Als wir erwartungsvoll das Kinderzimmer betreten, liegt Ryan mit seiner Kuscheldecke auf dem Fußboden und schläft tief. Klar, jetzt müssen wir ihn wecken, und Ryan ist wie seine Mutter ein wahrer Morgenmuffel.
»Ich mach schon mal Frühstück, weck du ihn«, meint sie und entschwindet. Ich und die Arschkarte, ich finde, wir sehen uns mittlerweile schon ähnlich. Aber heute habe ich Glück, Ryan ist extrem gut drauf. Dreißig Minuten später sitzen wir im Auto und fahren los, und als wir weitere siebzehn Minuten später beim Kindergarten
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