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Funke, Cornelia

Funke, Cornelia

Titel: Funke, Cornelia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rekkless
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Terpevas
ritt, was in der Sprache ihrer Bewohner nichts weiter als Zwergenstadt hieß.
Fuchs fand in einem Waldstück eine Höhle, die von Schäfern als Unterschlupf
benutzt wurde, und Will folgte Jacob hinein, als könnte er es nicht erwarten,
endlich dem Tageslicht zu entkommen. Sein Gesicht zeigte nur auf der rechten
Wange noch Menschenhaut, und Jacob fiel es mit jedem Tag schwerer, ihn
anzusehen. Das Schlimmste waren die Augen. Sie ertranken inzwischen beide im
Gold, und Jacob musste immer stärker gegen die Furcht ankämpfen, dass er das
Rennen gegen die Zeit bereits verloren hatte. Manchmal erwiderte Will seinen
Blick, als hätte er vergessen, wer er war, und Jacob kam es vor, als sähe er
die Vergangenheit, die sie teilten, in den Augen seines Bruders verlöschen.
    Clara war
ihnen nicht in die Höhle gefolgt. Als Jacob mit Fuchs zurück zu den Pferden
kam, stand sie so verloren zwischen den Bäumen, dass er sie in den
Männerkleidern, die sie immer noch trug, einen Augenblick lang für einen der
Jungen hielt, die man in dieser Welt überall auf den Straßen fand, elternlos
und auf der Suche nach Arbeit. Das Herbstgras, das zwischen den Bäumen wuchs,
hatte dieselbe Farbe wie ihr Haar, und man sah ihr die andere Welt immer
weniger an. Die Erinnerung an die Straßen und Häuser, in denen sie beide groß
geworden waren, an das Licht und den Lärm und das Mädchen, das sie dort gewesen
war, all das war verblasst, weit fort. Aus der Gegenwart wurde so schnell
Vergangenheit und plötzlich trug die Zukunft fremde Kleider. »Will bleibt nicht
mehr viel Zeit.«
    Sie sprach
es nicht als Frage aus. Sie sah den Dingen ins Gesicht, auch wenn sie ihr
Angst machten. Jacob mochte das an ihr.
    »Du
brauchst einen Arzt«, sagte sie, als er sich auf die Stute schwang und dabei
vor Schmerz das Gesicht verzog. All die Blüten, Blätter und Wurzeln, die Fuchs
ihr gezeigt hatte, linderten die Entzündung in seiner Schulter nicht, und
inzwischen ließ die Wunde ihn fiebern.
    »Sie hat
recht«, sagte Fuchs. »Geh zu einem von den Zwergendoktoren. Sie sind angeblich
besser als die Leibärzte der Kaiserin.«
    »Ja, wenn
man ein Zwerg ist. Bei Menschenpatienten haben sie nur den Ehrgeiz, sie um ihr
Geld und dann ins Grab zu bringen. Zwerge haben keine sehr hohe Meinung von
uns«, setzte er hinzu, als er Claras fragenden Blick sah, »das gilt selbst für
die, die der Kaiserin dienen. Nichts verschafft einem Zwerg mehr Ansehen unter
seinesgleichen, als einen Menschen auszunehmen.«
    »Aber du
kennst trotzdem einen, dem du trauen kannst?« Clara sah ihn besorgt an.
    Fuchs ließ
ein verächtliches Knurren hören. »Unsinn! Dem Zwerg, zu dem er will, kann man
noch weniger trauen als den anderen!« Sie strich um Clara herum, als suchte sie
eine Verbündete. »Frag ihn, woher er die Narben auf dem Rücken hat.«
    »Das ist
lange her.«
    »Und?
Warum sollte er sich geändert haben?« Der Ärger in Fuchs' Stimme übertönte
nicht die Furcht darin und Clara blickte noch besorgter.
    »Warum
nimmst du nicht wenigstens Fuchs mit?«
    Für diesen
Vorschlag strich ihr die Füchsin nur noch zärtlicher um die Beine. Sie suchte
Claras Gesellschaft und nahm für sie sogar immer häufiger Menschengestalt an.
    Jacob
wendete das Pferd.
    »Nein.
Fuchs bleibt hier«, sagte er, und Fuchs senkte den Kopf, ohne zu protestieren.
Sie wusste ebenso gut wie er, dass weder Will noch Clara diese Welt gut genug
verstanden, um in ihr allein zurechtzukommen.
    Als Jacob
sich an der nächsten Wegbiegung umsah, saß sie immer noch neben Clara und
blickte ihm nach. Sein Bruder hatte nicht einmal gefragt, wohin er ritt. Er
versteckte sich vor dem Tag.
     
    18
     
    SPRECHENDER STEIN
     
    Will hörte
den Stein. Er hörte ihn so deutlich wie sein eigenes Atmen. Die Töne
drangen aus den Höhlenwänden, dem schartigen Grund unter seinen Füßen und der
Felsendecke über ihm. Schwingungen, auf die sein Körper antwortete, als wäre er
aus ihnen gemacht. Er hatte keinen Namen mehr, nur die neue Haut, die ihn kühl
und schützend umgab, die neue Kraft in seinen Muskeln und den Schmerz in den
Augen, wenn er in die Sonne blickte.
    Er strich
mit den Händen über den Fels und las das Alter des Steins aus den Falten, die
er schlug. Sie flüster ten ihm zu, was sich unter der
unscheinbar grauen Oberfläche verbarg: gestreifter Achat, blassweißer
Mondstein, goldgelber Zitrin und schwarzer Onyx. Sie formten Bilder: von
unterirdischen Städten, versteinertem Wasser, mattem Licht, das sich

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