Funke, Cornelia
tief und lange
zu tauchen. Aber es waren auch Drachenschuppen in jeder Größe und Farbe zu
finden. In fast jedem Winkel dieser Welt gab es Gerüchte über angeblich noch
lebende Exemplare. Jacob selbst hatte hoch im Norden schon Schatten am Himmel
gesehen, die verdächtig dem mumifizierten Körper glichen, der in der vierten
Kammer ausgestellt war. Allein der Schwanz nahm fast eine halbe Wand ein, und
die gewaltigen Zähne und Klauen machten Jacob fast dankbar dafür, dass die
kaiserliche Familie seine Art ausgerottet hatte.
Der
Goldene Ball, nach dem er suchte, lag in der fünften Kammer auf einem Kissen
aus schwarzem Samt. Jacob hatte ihn in einer Wassermannhöhle neben der
entführten Tochter eines Bäckers gefunden. Er war kaum größer als ein
Hühnerei, und die Beschreibung, die auf den Samt geheftet war, klang fast wie
das Märchen, das in der anderen Welt von einem Goldenen Ball erzählte:
Ursprünglich Lieblingsspielzeug der jüngsten Tochter Leopolds des
Gutmütigen, mit dem sie ihren Bräutigam (später Wenzeslaus der Zweite) fand und
von einem Frosch-Fluch befreite.
Aber das
war nicht die ganze Wahrheit. Der Ball war eine Falle. Jeder, der ihn auffing,
wurde in sein Inneres gezogen und erst wieder freigelassen, wenn man das Gold
polierte.
Jacob
brach die Vitrine mit dem Messer auf und war für einen Moment versucht, noch
ein paar andere Dinge mitzunehmen, die die Truhe in Chanutes Gasthaus hätten
auffüllen können, doch die Kaiserin würde über den Ball verärgert genug sein.
Jacob schob ihn gerade in die Manteltasche, als in der ersten Kammer die
Gaslichter aufflammten. Sein Körper begann schon wieder sichtbar zu werden, und
er verbarg sich hastig hinter einer Vitrine, in der ein abgetragener
Siebenmeilenstiefel aus Salamanderleder stand, den Chanute dem Vater der
Kaiserin verkauft hatte (der zweite stand in der Wunderkammer des Königs von
Albion). Schritte hallten durch die Säle, und schließlich hörte Jacob, wie
jemand sich an den Vitrinen zu schaffen machte. Aber er konnte nicht sehen, wer
es war, und wagte nicht, sich zu rühren, aus Angst, seine Schritte würden ihn
verraten. Wer immer es war, er blieb nicht lange. Das Licht erlosch, die
schweren Türen fielen zu und Jacob war wieder allein in der Dunkelheit.
Ihm war
speiübel von dem Schleim, aber er konnte es nicht lassen, an den Vitrinen
entlangzugehen, um herauszufinden, weswegen der andere nächtliche Besucher gekommen
war. Die Heilende Hexennadel fehlte, zwei Drachenkrallen, die angeblich vor
Verletzung schützten, und ein Stück Wassermannhaut, dem man dieselbe Wirkung
zuschrieb. Jacob konnte sich keinen Reim darauf machen, und schließlich gab er
sich mit der Erklärung zufrieden, dass die Kaiserin dem Bräutigam ein paar
magische Dinge zur Hochzeit schenken wollte, um sicherzustellen, dass er nicht
schon bald von einem weniger friedensbereiten Goyl ersetzt wurde.
Als die
goldenen Türen wieder hinter ihm zufielen, war Jacob bereits so übel, dass er
sich fast übergab. Er hatte Krämpfe - die ersten Vorboten der Lähmung, die der
Schleim auslösen konnte -, und die Palastkorridore nahmen kein Ende. Jacob
beschloss, ihnen zurück in die Gärten zu folgen. Die Mauern, die sie von der
Straße trennten, waren hoch, doch das Rapunzelseil ließ ihn auch diesmal nicht
im Stich. Wenigstens eine nützliche Sache, die ihm geblieben war.
Donnersmarcks
Mann stand immer noch vor dem Tor, aber er bemerkte Jacob nicht, als er sich
davonstahl. Sein Körper war noch schemenhaft wie der eines Geistes, und ein
Nachtwächter, der seine Runden in den nächtlichen Straßen zog, ließ bei seinem
Anblick vor Schreck die Laterne fallen.
Zum Glück
war er wieder sichtbar genug, als er das Hotel erreichte. Jeder Schritt war
mühsam und seine Finger wollten sich kaum noch krümmen. Er schaffte es gerade
noch in den Aufzug, und erst als er vor seinem Zimmer stand, fiel ihm Fuchs
ein.
Er musste
so laut gegen die Tür klopfen, dass zwei Gäste die Köpfe aus ihren Zimmern
steckten, bevor der Soldat endlich öffnete. Jacob stolperte an ihm vorbei und
übergab sich im Badezimmer. Fuchs war nirgends zu sehen.
»Wo ist
sie?«, fragte Jacob, als er wieder aus dem Badezimmer kam. Er musste sich gegen
die Wand lehnen, damit ihm die Knie nicht nachgaben.
»Ich habe
sie in den Schrank gesperrt!« Der Soldat hielt ihm anklagend seine mit einem
blutigen Taschentuch umwickelte Hand hin. »Sie hat mich gebissen!«
Jacob
schob ihn auf den Korridor hinaus.
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