Funkstille
Gleichgültigkeit des Vaters ausgleicht, für ihn da ist, ihm Selbstvertrauen gibt und die anderen wichtigen Dinge, die eine Mutter eben geben sollte!
»Ich habe reagiert, wie man es eben tut, wenn man bedroht ist«
Maja war die erste Abbrecherin, die sich nach einem halben Jahr Recherche mit mir zu einem Vorgespräch traf. Ich reiste zu ihr in die Nähe von Bremen. Dort lebt Maja zurückgezogen mit ihren drei Töchtern und ihrem Mann auf einem kleinen Hof. Sie backt selbst Brot, baut Obst und Gemüse an und lebt sehr »bewusst«, wie es so schön heißt. In ihrem Haus gibt es keinen Fernseher. Maja hat mehr als einmal signalisiert, dass sie sich nicht sicher ist, ob sie vor die Kamera gehen will. Sie beginnt zu erzählen, wirkt dabei sicher und doch wieder nicht. Es scheint, als versuche sie im Sprechen tastend einen präzisen Punkt zu erreichen. Sie hat es sich im Schneidersitz gemütlich gemacht. Zögerlich berichtet sie, dass sie vor fünf Jahren den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen habe. Warum?, frage ich die 33-Jährige, die immerhin selbst Mutter dreier Töchter ist und es bestimmt nicht schätzen würde, wenn die Mädchen nicht mehr mit ihr sprächen. Es habe keine benennbare Verletzung gegeben, doch sie habe sich »bedroht« gefühlt, erklärt Maja leise. »Ich habe reagiert, wie man es eben tut, wenn man bedroht ist. Man verteidigt sich, man baut Schutzmauern auf. Das ist wie Krieg, halt zu Hause, im Kleinen, und ich glaube auch, dass damit Krieg anfängt, dass beide meinen, Recht zu haben.«
Schon wieder fällt die Vokabel »Krieg«. Warum werden zwischenmenschliche Konflikte häufig als Kampf empfunden, als regelrecht lebensbedrohlich? »Weil sie es sind«, so Hans Wedler. Im Extremfall kann es sogar zum Mord kommen. Wenn einer gar keine Luft mehr bekommt, kann er sich nur durch einen brutalen Bruch lösen. Für Maja wurde dieser Konflikt existenziell. Nach jedem Telefonat mit der Mutter fühlte sie sich schlecht. Tagelang war sie kaum ansprechbar. Aber worum ging es in den Telefonaten?, will ich noch einmal wissen. Offenbar ist der gefühlte Konflikt intensiver als das Thema, um das es geht.
Maja versucht, die Auseinandersetzung zwischen ihr und der Mutter vorsichtig in Worte zu fassen: »Es geht um Verrat und um Schuld. Meine Mutter hat sich verraten gefühlt. Ich habe mich als Verräterin gefühlt. Ich habe mich schuldig gefühlt, weil ich eine andere Meinung hatte als sie. Das durfte ich nicht, oder doch? Das konnte meine Mutter einfach nicht akzeptieren, und das hat sie mir auch immer wieder deutlich gemacht. Deswegen wusste ich mir auch keinen anderen Rat mehr, als aus diesem Kontakt rauszugehen.«
Verrat? Schuld? Inhaltlich sind wir kaum weiter. Ich frage noch einmal nach: Es ging also um Loyalität? »Ja«, bestätigt Maja. »Meine Eltern hatten sich getrennt, und ich sollte ausschließlich zu meiner Mutter halten. Ich liebe aber beide und konnte auch meinen Vater verstehen.« Majas Mutter forderte grenzenlose Liebe und Solidarität. Beides konnte und wollte Maja ihr nicht geben. Maja wünscht sich eine Liebe, die nicht fordert, sondern bedingungslos ist.
Ist das möglich?, frage ich den Experten. Udo Rauchfleisch meint: »Das ist das, was Eltern ihrem Kind im optimalen Fall entgegenbringen, dass das Kind einfach um seiner selbst willen geliebt wird und keine Leistung dafür bringen muss. Bei Liebesbeziehungen gibt es auch eine Basis unabhängig von Kritik und Akzeptanz, eine Basis von bedingungsloser Annahme, aber es hat sehr viel mit früher Eltern-Kind-Beziehung zu tun, und es ist von Maja auch unrealistisch, von dieser Mutter, die sie doch kennt, etwas zu fordern, was sie nicht leisten kann. Die Verlassende muss akzeptieren: Meine Mutter hat diese und jene Ecken und Kanten und kann nicht anders, und ich kann sie nicht mit Erwartungen überfordern, die gar nicht dieser Frau entsprechen.«
Nun sind das aber nicht nur »Ecken und Kanten«, die Maja akzeptieren müsste, wende ich ein. Immerhin wollte ihre Mutter sie ja zur Loyalität zwingen, war übergriffig und missbrauchte die Tochter für ihren Ehekampf. Andererseits forderte Maja etwas, was ihre Mutter nicht geben konnte. Die Ansprüche sind auf beiden Seiten unerfüllbar. Doch das sieht Maja noch nicht ein und ihre Mutter ohnehin nicht, wie ich in einem langen Telefonat mit ihr deutlich registriere. Absolut keine Ahnung habe sie, warum sich ihre Tochter so verhalte, und verstehen könne sie sowieso nicht, warum sie so »undankbar«
Weitere Kostenlose Bücher