Funkstille
sie sich verhalten, wohin sie blicken oder eben nicht blicken, durch die Rücksichtnahme oder eben die Nichtrücksichtnahme auf die Gegenwart des anderen, oder dadurch, dass sie die Gegenwart des anderen völlig ignorieren und so tun, als wären sie allein in dem Raum. Es gibt da ein weites Spektrum an Kommunikationsmöglichkeiten. Nur eines kann man nicht: nicht kommunizieren. Mit dem Beziehungsabbruch bei Herstellung einer räumlichen Distanz ist es prinzipiell nicht anders. Allein den anderen nicht wissen zu lassen, wo man sich befindet, ist ein kommunikatives Signal.« Beim Kontaktabbruch also gibt jemand schweigend zu verstehen, dass er so wie bisher nicht weitermachen kann. Das Schweigen ist also etwas Aktives, auch wenn es passiv wirkt. Es ist eindeutig ein Handeln. Jemand tut etwas und tut dem anderen damit etwas an.
»Wenn man sich mit Worten nicht verstanden fühlt, dann muss man Taten sprechen lassen«
Kann jedoch Schweigen deutlicher sein als die zuvor in vielen Gesprächen und Auseinandersetzungen gefundenen Worte? Auch in der verbalen Kommunikation kann Schweigen enthalten sein. Nur: Dort ist es zeitlich begrenzt, ist eine Pause und wird wieder gebrochen. Maja hatte auch, bevor sie endgültig schwieg, mit ihrer Mutter gesprochen. Vielleicht war das Unaussprechliche auf versteckte Weise bereits in dem Ausgesprochenen enthalten? Majas Mutter jedenfalls verstand nicht, worum es ging, wenn ihre Tochter mit ihr sprach, hörte die versteckten Botschaften nicht. Die Gespräche endeten immer wieder mit »hängengebliebenen Worten«, mit der Einforderung von unbedingter Loyalität seitens der Mutter und der damit verbundenen Entscheidung gegen den Vater. Diese fordernden Worte blieben immer wieder bei Maja hängen.
»Mein Schweigen war der letzte Versuch, mich verständlich zu machen«, sagt Maja. Ich frage nach: Es geht darum, gehört zu werden, indem man nichts mehr von sich hören lässt? »Ja, so ist es«, bestätigt Maja, »wenn man sich mit Worten nicht verstanden fühlt, dann muss man Taten sprechen lassen.«
Das Schweigen ist ein Impuls, eine Art Überlebensinstinkt. Maja folgt keiner bewussten Überlegung. Und doch ist ihr Stillhalten eine Rebellion. Gegen manche Menschen muss man offenbar rebellieren, damit sie einem zuhören, und der Rebellion geht ein Bruch voraus. Ist Schweigen also vielleicht die effektivere, wenn auch brutalere Art mitzuteilen, dass die Beziehung gestört ist? Unsere Kamerafrau, die Assistentin und ich kommen ins Grübeln – typisch für uns Journalisten. Das Mitteilen, die Kommunikation in all ihren Facetten, ist unser Job. Neugier auf andere Menschen ist die Grundvoraussetzung dafür. Wir wollen zum Nachdenken anregen, Argumente gegeneinander abwägen, Ansichten vorstellen und diskutieren. Alles Dinge, für die das Sprechen unabdingbar ist. Beim Thema Funkstille aber steht plötzlich das Schweigen im Mittelpunkt.
Majas Mutter wurde am Telefon in ihren Forderungen an die Tochter immer skrupelloser. Jedes Wort war ein Messerstich, jeder Kontakt ein Schlag ins Gesicht. Maja war erschöpft, hatte keine Kraft mehr den Angriffen der Mutter standzuhalten, mochte nicht mehr kämpfen und zog sich zurück. Eine krisenhafte Situation fordert von dem Betroffenen, neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Der Worte sind genug gewechselt, beschloss Maja. Jetzt würde sie es mit Schweigen versuchen. Sie wollte nachdenken, ohne Manipulation, ohne Kontrolle oder Einmischung, selbstbestimmt, auch wenn sie noch nicht genau wusste, was sie wollte. Zumindest Klarheit wollte sie finden über die eigenen Gefühle und Wege, sie zu offenbaren. Maja wollte es in der Zeit des Schweigens lernen.
Kann der Kontaktabbruch in diesem Sinne eine gute, eine heilende Auszeit sein? Udo Rauchfleisch zweifelt daran. »Es ist erst einmal eine Frage der Wortwahl, und in nahen Beziehungen kennen sich die beiden ja sehr gut und wissen, was die Reizworte sind und wo man besser vorsichtig formuliert. Ich meine, dass es sinnvoll ist, zu überlegen, ob es vielleicht besser ist, Klarheit zu schaffen als Jahre oder Jahrzehnte mit dieser Last des Kontaktabbruchs zu leben. Wenn der Verlassende sagt, ich sage nicht die Wahrheit, um den später Verlassenen zu schonen, dann ist das wohl eher eine Schutzbehauptung. Natürlich ist es verletzend, wenn der Verlassende zum Beispiel sagt: Hör’ mal zu, ich bin nicht der, den du zu kennen glaubst, und du bist weiß Gott nicht die Person, die du selber meinst zu sein – das wäre
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