Funkstille
und »eiskalt« sei. Auch ihre Freundinnen und Nachbarn fänden ihre Tochter ungezogen, unterstrich die Mutter. Selten gibt es Gespräche, in denen man so wenig »andocken« kann. Die Mutter ist meilenweit von der Erkenntnis entfernt, dass auch die Tochter eigene Bedürfnisse hat. Die Fronten haben sich verhärtet. Maja fühlte sich bedrängt und unfrei, konnte ihrer Mutter dies aber nicht offen sagen. Um in Konfliktsituationen souverän zu reagieren, muss man wissen, was man fühlt.Maja versucht es gerade herauszufinden. Auf ihrem Tisch stapeln sich Bücher; Lebenshilfen aller Art. »Grenzen setzen« ist ihre Lieblingsvokabel, und man spürt, dass sie noch sehr unsicher ist. Der Bruch mit der Mutter hat sie nicht weniger zerbrechlich gemacht, aber die Distanz macht sie offener für neue Gedanken. Vielleicht zu offen?
Vorsichtig würden wir sein, versicherte ich zum Abschied, auch ihrer Bekannten gegenüber, die den Kontakt vermittelt hatte und während unseres Gesprächs kurz vorbeikam. Ich kenne und mag sie seit den Dreharbeiten für einen Film, der in der ZDF -Sendereihe »37 Grad« ausgestrahlt wurde. Darin ging es um Eltern, deren Kinder sich umgebracht haben. Sie weiß, dass wir darauf achten, niemanden um der Sensation willen bloßzustellen. Ihr Sohn hatte sich von einem Dach gestürzt. Er sollte gerade mit dem Leben beginnen und entschied sich für den Tod. Er war erst 18 Jahre alt. Auch seine Mutter fragt sich immer wieder: »Warum«? Wie im Kontaktabbruch findet sich auch im Suizid das Fluchtthema, die Verzweiflung, das Nicht-mehr-weiter-Wissen, auch der Gedanke der Bestrafung. Viele Suizidenten wollen in erster Linie Ruhe und hoffen, im Tod keinen Anforderungen mehr standhalten zu müssen.
Vor dem Suizid kann es aber auch einen Schlussstrich geben. »Stattdessen«, meint der 43-jährige Jan. Er sagt es kühl und ohne Hysterie. Er meint es ernst. Ja, er hätte sich umgebracht, wenn er den Kontakt zu seiner Mutter nicht abgebrochen hätte, erzählt er offen und überaus glaubwürdig. Die Funkstille sei definitiv lebensrettend, ja überlebensnotwendig für ihn gewesen. Der Kontaktabbruch schützte ihn vor dem Bruch mit dem Leben, seinem Leben.
Drittes Kapitel
Das Schweigen
»Schweigen ist Kommunikation«, hat Maja schon beim ersten Kontakt erklärt. Es ist ein Satz, der über dem gesamten Thema der Funkstille schwebt und über den ich mit meinen Kollegen immer wieder diskutiere. Selbstverständlich ist Schweigen Kommunikation, denn man kann nicht nicht kommunizieren, wissen wir seit Paul Watzlawicks grundlegendem, Ende der 1960er Jahre auf Deutsch erschienenen Buch Menschliche Kommunikation . Doch ist Schweigen als Kommunikationsform sinnvoll? Wie soll der Verlassene die nicht gesagten Worte erahnen können, die Missverständnisse oder den Konflikt klären, solange kein Austausch stattfindet? Wie soll er wissen können, worum es dem Abbrecher geht?
Worte können aber auch zerstören, und man kann reden und doch nichts mitteilen. Manches ist unaussprechlich, also schweigt man. In einer Beziehung dagegen kommt es weniger darauf an, die richtigen Worte zu finden, als die richtigen Signale zu senden, so scheint es jedenfalls. Oft ist ja gerade das Nicht-Gesagte das Entscheidende. Es werden Nebenkriegsschauplätze eröffnet, gerade weil wir das Entscheidende nicht sagen können oder Folgediskussionen vermeiden wollen.
In der Philsophie gilt das Schweigen oft als das Höchste, doch das Schweigen hat keinen Platz im Hegelschen System der Philosophie. Das Unaussprechliche, Unsagbare bzw. Ungesagte gilt dort nicht als das Beste und Vortrefflichste, sondern sogar als das »Unbedeutendste« und »Unwahrste«. Die »reine Stille« gehört für Hegel zu den Formen, die »in das Trübe« gehen. »Worte zerstören, wo sie nicht hin gehören«, singt Dalia Lavi in einem ihrer bekanntesten Lieder. Ist Schweigen vielleicht doch die effektivere, auch brutalere Art, mitzuteilen, dass die Beziehung gestört ist?
Schweigen bedeutet für den Verlassenen erst einmal: Ablehnung. Er sucht Klärung, will kommunizieren, um zu verstehen. Das Schweigen lässt jedoch zu viel Raum für Spekulationen, für Missverständnisse und den Konflikt befeuernde Überlegungen. Die Orientierung fehlt.
Psychotherapeut Hans Wedler veranschaulicht an einem Beispiel, in welchem Maße Schweigen Kommunikation ist: »Man stelle sich zwei Personen in einem Raum vor, die nicht miteinander sprechen. Dennoch kommunizieren sie ständig: Durch die Art, wie
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