Funkstille
groß und schlank. Er weiß um sein gutes Aussehen und spielt diese Karte gern aus, lässt sich von Frauen auf ein Glas Champagner einladen, auch von Männern, und ist im tiefsten Innern fest davon überzeugt, dass ihm das zusteht. Sein Umfeld registriert diese Eigenart, nimmt sie ihm aber nicht allzu übel. Jan neigt eben dazu, Menschen danach zu bewerten, was sie ihm bringen könnten. Ein Egoist? Ein Egozentriker? Einer, der andere ausnutzt? Ja, aber auch einer, der aufmerksam und zugewandt sein kann, und dann ist der Austausch mit ihm intelligent und befruchtend. Empathie aber kann man von Jan nicht erwarten.
Eine Reihe seiner Freunde aus dem Netzwerk – nennen wir sie lieber Bekannte – haben ihm geholfen, seinen großen Traum zu verwirklichen. Länger schon glaubt er entdeckt zu haben, was ihn glücklich macht: Schreiben. Ganz auf sich selbst gestellt, genügsam und diszipliniert würde er dieses Projekt verfolgen, wenn er denn die Chance bekäme.
Und er bekam sie. Ein großer Verlag gab ihm den Auftrag, einen Mysterythriller zu schreiben. Der Stoff basiert auf Jans Diplomarbeit. Als wir uns zu Baguette und Wein treffen, ist das Werk gerade auf den Markt gekommen, und der nun schriftstellernde Freund ist noch mächtig aufgekratzt. Jetzt werde seine Zeit kommen, der große Erfolg sich einstellen, Hollywood müsse doch längst erkannt haben, welch unglaublicher Stoff sich da anbiete. Solche Äußerungen meint Jan durchaus ernst. Kindliche Naivität und Größenwahn vermischen sich in diesen Phasen. Aber manchmal muss man verrückt sein, um Großes zu erreichen. Seine Fantasien stören mich nicht, immerhin hat er welche. Dann gibt es aber noch den anderen Jan, der völlig ausflippen kann, Schimpftiraden von einer Schärfe loslassen kann, dass es überrascht, wenn er nicht gleich die gesamte Welt zusammenhaut. Mal ist er narzisstisch, überheblich, dann wieder leise und schüchtern. Kein einfacher Mensch, so viel ist sicher. Aber dass Liebe so massiv in Hass umschlagen kann, erstaunt mich dann doch. »Wieso?«, entgegnet Jan kühl. »Zerstören wir nicht, was wir lieben?« Nun, nicht zwangsläufig, oder?, denke ich. »Irgendwo schon, finde ich«, meint er etwas milder. Vielleicht aus Angst, überlegen wir gemeinsam, um Distanz zu schaffen, um sich zu schützen. »Jedenfalls erkannte ich durch die Ehe, dass meine Mutter mich missbraucht hatte – seelisch, nicht körperlich«, stellt Jan klar.
Mit seiner ersten Ehe begann die Zeit des offenen Streits mit der Mutter: »Das waren schreckliche Diskussionen über Erziehung, Liebe und Hass. Ich habe auch um ihr Verständnis gekämpft. Und ich war erstaunt, dass sie mich frontal anging, wunderte mich, dass auch sie mich hassen kann. Es gilt wohl die alte Weisheit: Die übertriebene Affenliebe überdeckt nur den Hass. Plötzlich haben sich zwei Menschen gegenübergestanden, die eine neurotische, vielleicht doch auch erotische Liebesbeziehung hatten, allerdings ohne Inzest, was wirklich ein Wunder ist. Plötzlich wurde aus dieser symbiotischen Liebesbeziehung Hass. Ich durfte mich in der Teenagerzeit nicht abgrenzen, und dann kam es zur Explosion. Ich habe versucht, den ganzen Abgrenzungs- und Desillusionierungsprozess durchzuziehen, und gleichzeitig hatte ich auch Frust, weil die Versäumnisse in meinem Leben immer offensichtlicher wurden. Das war ein wahrer Vernichtungskrieg. Danach war ich sowas von fertig mit dieser Frau! Sie hat sich nicht entschuldigt, konnte nicht einlenken, auch nicht um Verzeihung bitten. Irgendwann habe ich gedacht, jetzt geht es ums Überleben, sie oder ich. Dann habe ich beschlossen, ich gehe nach Frankreich und sage niemandem, wo ich bin. Die Funkstille war Folge eines dreckigen, schmutzigen und gemeinen Krieges, so dass ich gedacht habe, ich kann nur noch ohne meine Mutter leben, ich will mit diesem Wesen nichts mehr zu tun haben.«
Manchmal ist die Situation offenbar derart festgefahren, dass nur noch ein gewaltiger Bruch hilft. Jan brach den Kontakt ab. »Um sich zu lösen, muss ein Gewaltakt her. Da muss eine Trennung erfolgen, die auf andere Weise nicht möglich ist. Es hat zuvor keine wirkliche Auseinandersetzung stattgefunden, dann kann ich mich nicht ablösen. Oft ist es bei symbiotischen Verhältnissen ja so, dass die Kommunikation gar nicht mehr stattfindet. Die Beteiligten sind sehr eng miteinander zusammen, aber sie können nichts mehr miteinander anfangen. Die Klärung geht nicht mehr«, sagt der Psychotherapeut Professor Hans
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