Funkstille
zu finden, dass das überhaupt passiert, ist sehr schwierig. Ich habe nicht die Möglichkeit zu sagen: ›Michael, jetzt lass uns mal zu Mutti gehen.‹ Er steht dann auf und rennt weg. Das ist ein Problem.« Ich frage Christian, wieso er denn annehme, dass Michael ein Ende der Schweigejahre gut täte. Seine Antwort ist überraschend: »Ich glaube, er liebt meine Mutter über alles. Ich glaube nicht, dass er ihr eins auswischen will. Das auf gar keinen Fall. Denn wenn ich mit ihm darüber rede, dass es Mutter nicht gut geht, dann sehe ich, dass ihm das nahegeht.«
»Die Funkstille war ein Zeichen der Liebe und nicht des Hasses«, erklärt auch Maja im Interview. Das Verhältnis zur Mutter war eng, zu nahe. Die Gefühle der Mutter fand Maja in ihren eigenen Empfindungen wieder. Sie fühlte, was ihre Mutter fühlte. Wie sollte sie sich davor schützen, außer durch Distanz? Die Funkstille trifft aus der Distanz. Aber ein Abbruch ist kein Distanz-Schaffen, meint unsere Kameraassistentin. Zwischen ungesunder Nähe und totalem Schweigen gebe es schließlich noch etwas Drittes: dass man das Problem bespricht. Sie hat Recht, doch dazu war Maja nicht in der Lage. Ihr Schweigen ist auch Zeugnis des Unvermögens, die richtigen Worte zu finden. »Ja«, bestätigt Maja, »ich war selbst nicht mehr offen für Zwischentöne, es gab nur noch Schwarz und Weiß.« Reden oder schweigen. Was müsste die Mutter tun, damit Maja ihr Schweigen bricht, das immerhin schon drei Jahre andauert? In einem ihrer ausführlichen Briefe schreibt Maja mir: »Ich möchte eine Liebe, die nicht fordert, sondern eine Liebe, die loslässt.«
Ich spreche über Majas Situation mit Meinolf Fritzen, einem ehemaligen ZDF -Redakteur, selbst Vater zweier Kinder. »Und was«, fragt er, »wenn eine Mutter ihr Kind gar nicht als eigenes Wesen, sondern Erweiterung des eigenen Ich betrachtet und behandelt? Die Mutter lügt sich selbst was zurecht über ihre zerbrochene Partnerschaft. Maja weiß, dass es (so) nicht stimmt. Aber wenn sie widerspricht, kommt bei der Mutter kein Erkenntnisprozess, keine Diskussion, kein Abwägen zustande, sondern die Mutter fühlt sich verletzt, und Maja fühlt sich dann in diesem System zwangsläufig schuldig. Das scheint mir der entscheidende Punkt. Das hat sie ja nicht gewollt, die Mutter zu verletzen. Aber deren Selbsttäuschungen kann sie sich auch nicht beugen, die eigenen Wahrnehmungen kann sie nicht verleugnen. Es folgt das Dilemma: Bleiben heißt lügen. Also lieber gehen und schweigen.«
»Kommunikationsabbruch: Ist wirklich alles vorbei?«
Funkstille ist Kommunikation. Dieser Meinung ist auch der Psychoanalytiker Professor Rauchfleisch. »Die Person des Abbrechenden bleibt ja für die Person, die zurückbleibt, präsent, und umgekehrt genauso. Mehr noch: Gerade Dinge, die unabgeschlossen sind, bleiben uns viel präsenter als andere.« In einer Beziehung, in der es den Beteiligten bei Streitereien bis dahin nicht gelungen ist, die richtigen Worte zur Konfliktlösung zu finden, bietet der Kontaktabbruch auch die Möglichkeit, das Bild, das man vom anderen in sich trägt, unverändert zu bewahren. So ergeht es anfänglich meinem Kollegen Stephan, den seine Freundin Marie von einem Tag auf den anderen verließ. Indem er festhält an all dem, was er in der Beziehung als gut empfand, kann er sein Bild von Marie aufrechterhalten. Aber möglicherweise hatte dieses Bild, schon als sie noch bei ihm war, nicht mehr viel mit ihr selbst zu tun! Irgendwann mutmaßt auch Stephan, dass er seine Freundin nicht richtig kannte. Ihr Schweigen sagt ihm nun: Wir sind uns nie begegnet, und wir werden uns auch nicht mehr begegnen. Sie hätte lieber ehrlich Schluss machen sollen, findet Stephan. Durch die Funkstille werde die Verbindung gehalten. Das sei nicht fair. »Sie lässt mich nicht los und ich kann sie nicht loslassen.«
Wieder eine Frage an den Experten: Will Marie sich tatsächlich ein Hintertürchen offenhalten, indem sie keine klaren Verhältnisse schafft? »Ja«, meint Udo Rauchfleisch. »Es soll in der Schwebe gehalten werden. Der Abbrecher lässt sich ganz klar ein Hintertürchen offen. Fair ist das natürlich nicht, denn so können beide nicht abschließen. Ein wirklicher Abschluss würde allerdings bei beiden die Hoffnung zerstören, dass es doch wieder gehen könnte. Der Abbruch der Kommunikation heißt also nicht, dass innerlich alles vorbei ist.« Ich vergewissere mich: »Solange man schweigt, ist die Beziehung nicht beendet
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