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Funkstille

Funkstille

Titel: Funkstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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und sehr wahrscheinlich auch die vorangegangene Verletzung noch nicht richtig verarbeitet?« »Definitiv ja«, lautet die Antwort des Experten.
    Mir fällt Vicky ein, eine Freundin, die im Bereich der Public Relations arbeitet. Sie ist wortgewandt und beliebt, vertritt schillernde Kunden aus dem Entertainmentbereich und der Gastronomie, knüpft schnell Kontakte zu interessanten Menschen, was an ihrer offenen und herzlichen Art liegt. Als sie sich im Urlaub in den 12 Jahre jüngeren Griechen Kyrill verliebt, scheint das Glück perfekt. Drei Jahre lang führen sie eine innige Beziehung, trotz der räumlichen Distanz. Plötzlich aber ist nur noch Funkstille. Ihr Freund meldet sich nicht mehr.
    Gab es Anzeichen dafür?, frage ich meine Freundin. Sie strahlt immer noch, wenn sie von Kyrill redet. Und mit einem Ausdruck, der so gar nicht zu dem Gesagten passen will, erzählt sie von seinen ständigen Kontrollanrufen und insistierenden Forderungen, sie solle sich doch weniger mit ihren Kunden treffen. Er war offenbar eifersüchtig, malte sich in der Ferne aus, wie sich seine Freundin von anderen Männern umgarnen lässt. Irgendwann ruft Kyrill nicht mehr an. Es herrscht Funkstille.
    Vicky ist verunsichert, bleibt emotional an Kyrill gebunden, findet aber gleichzeitig, dass Erpressung und Kontrolle Gift für eine Beziehung sind, und fragt sich bald: Wie sinnvoll ist solch eine Liebe? Ist das überhaupt Liebe? Vickys Geschichte zeigt, dass der Verlassene nicht notwendigerweise dazu verurteilt ist, die passiv abwartende Rolle zu übernehmen. Der Abbrecher lässt sich mit der Funkstille ein Hintertürchen offen. Eine Rückkehr scheint jederzeit möglich, wenn er das Schweigen bricht. »Doch häufig ist das eben nicht so«, sagt Udo Rauchfleisch. Denn der Verlassene hat die Möglichkeit, die gehaltene Verbindung seinerseits zu beenden, in der Funkstille den Schlussstrich zu ziehen. Vielleicht erkennt er seine Mitschuld am Bruch. Vielleicht gelangt er zu dem Schluss, dass die Funkstille letztlich besser für alle Beteiligten ist. Ein Gedanke, der meine Freundin öfter beschäftigt hat. Nach einer langen Zeit der Unklarheit fand sie schließlich einen neuen Partner. Und nicht lange danach rief Kyrill bei ihr an.
    Sind die engsten Beziehungen auch am anfälligsten für die Funkstille, diese uneindeutige, so belastende Form der Kommunikation? »Nicht die festesten Bindungen sind die anfälligsten, sondern solche, die lediglich als feste Bindungen behauptet und als solche nie in Frage gestellt werden. Beziehung ist dann tragfähig und dauerhaft, wenn sie regelmäßig hinterfragt und in Zweifel gezogen, wenn sie ständig neu in Form gebracht wird«, erklärt Hans Wedler. Beziehung braucht also Aussprache, nicht Schweigen, wenn sie dauerhaft gelingen soll. Allerdings kann die Nähe zueinander die Fähigkeit zum offenen Gespräch beeinträchtigen, räumt der Psychotherapeut Robert Stracke ein. »Manchmal sind wir wie vernagelt bei eben diesem einen Menschen, vielleicht weil eben dieser so wichtig ist. Aus der Distanz sieht man manchmal klarer, insofern kann eine Pause, die aber nicht zu lang sein darf, durchaus hilfreich sein, um klarer zu sehen.«
    »Schweigen ist das Schlimmste, was es gibt«
    Ich frage Utes Tochter Annika, ob das Schweigen des Abbrechers auch Kommunikation sein könne. Annika antwortet sehr schnell und sicher: »Ja, das ist definitiv eine Art von Kommunikation, aber es ist das Schlimmste, was es gibt.« Der Psychotherapeut Wilfried Wieck bestätigt ihre Einschätzung: »Wenn wir mit jemandem nicht sprechen, bringen wir ihn um einen gewissen Teil seines Lebens, lassen ihn sterben.« Für Annika ist Schweigen aus Selbstschutz Egoismus pur. Sie findet es schlicht feige, die Dinge nicht beim Namen zu nennen. Ist Kommunikationsunfähigkeit gleichzusetzen mit Unreife oder gar mit einer Art emotionalem Analphabetismus? »Es ist eher eine Unfähigkeit, sich auszudrücken«, so Professor Rauchfleisch, »wie es Zeichen von Schwäche sein kann, kann es natürlich auch Zeichen von Unreife sein. Man sollte aber die Interaktion nicht aus dem Auge verlieren. Was in der Situation des Kontaktabbruchs unreif und emotional rückständig wirken kann, ist eventuell letzter möglicher Schutz, weil die andere Person insistiert, blind und taub ist für das, was der Abbrecher gesagt oder zu sagen versucht hat.« Annika hat das Schweigen ihrer Tante Claudia mit einer offenen Wunde verglichen. Und tatsächlich kann Ute trotz der in ihrer

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