funny girl
Nuschel.‹ Oder sie stellen eine allgemein bekannte Weisheit auf den Kopf – ›Das Leben ist eine viel zu ernste Sache, um ernsthaft darüber zu reden.‹ Oder es ist einfach etwas wirklich Schockierendes… da könnt ihr einen Fluch oder schmutzige Gedanken eurer Wahl einsetzen. Natürlich trifft, wie immer bei den Gesetzen der Komik, auch das Gegenteil zu!« Gelächter. »Und damit wären wir wieder zurück beim Anfang.«
Die Schüler applaudierten. Jeder Einzelne, so schien es Azime, hing bewundernd an Kirstens Lippen. »Versuchen wir’s also noch mal«, begann sie von neuem. »Schopenhauer, Freud, Nietzsche, Wittgenstein und wie sie alle heißen – alle haben sie versucht, die Frage zu beantworten, die Jane mir gerade gestellt hat. Warum sollte ich das besser beantworten können als diese Männer? Das kann ich euch verraten. Weil ich witzig bin. Und das sind die nicht. Zum Beispiel: Einige dieser bedeutenden Männer haben behauptet, das Lachen entspringe unserem urtümlichen Gefühl der Erleichterung, wenn eine bedrohliche Situation vorüber ist; es ist die körperliche Reaktion auf die vorherige Anspannung. Toll, aber dann verraten Sie mir mal eins, Herr Nietzsche oder Herr Freud: Warum ist der folgende Witz lustig? ›Was bekommt man, wenn man 0208 6352 165 789 765334 477 wählt? Einen verdammt wunden Finger.‹ Und wo ist da bitte die bedrohliche Situation? Hmm. Das kann’s nicht sein. Glaubt mir, einen Philosophen zu fragen, was Komik ist, das ist, als ob man von einer Nutte mal richtig in den Arm genommen werden will. Als würde man Stevie Wonder bitten, einem bei der Suche nach dem Autoschlüssel zu helfen. Genau wie man keinen mathematischen Beweis haben kann, der nicht auf purer Mathematik beruht, kann es auch keine Theorie des Lachens geben, die nicht lustig ist. Fangen wir also noch mal von vorne an.«
Kirsten setzte sich vorn an die Bühnenrampe und sah ihre wissbegierigen Schüler der Reihe nach an. »Wie wär’s damit? Es war einmal ein Mann. Ein ganz einfacher Mann. Er saß in der Kirche, und jemand fragte, warum er bei der Predigt nicht weinte, wo doch alle anderen Tränen vergossen. Er dachte einen Moment nach und gab dann schulterzuckend zur Antwort: ›Ich gehöre nicht zu dieser Gemeinde.‹ Und genauso ist das beim Lachen – man muss zur Gemeinde gehören. Um einen Witz lustig zu finden, muss man bestimmte Einstellungen teilen. Und wenn man dazugehört, dann lacht man über praktisch alles, was den Zusammenhalt dieser Gemeinde, das gegenseitige Verständnis fördert und bestätigt, dass man dazugehört. Wenn ihr alles andere aus meinem Unterricht vergesst, dann merkt euch das eine: Ein guter Witz verwandelt uns aus dem Stand in eine Familie. Bei einem guten Witz gehören wir alle dazu – das ist das einzigartige Privileg, das uns gute Witze bescheren. Sie schweißen uns zusammen, sorgen dafür, dass wir uns ein bisschen weniger allein fühlen, weniger hoffnungslos, ein bisschen besser verstanden. Sie umarmen uns. Und aus schierer Dankbarkeit für diese Umarmung, aus Erleichterung, weil wir den Witz verstanden haben und folglich zur selben ›Gemeinde‹ gehören, bewegen sich unsere Münder, öffnen sich, unsere Lungen füllen sich mit Luft, und dann macht unser Körper etwas schier Unglaubliches: Er stößt einen Laut aus, es ist ein absurder Ausbruch, ein Zucken, wie es kein anderes Geschöpf in der Geschichte des Universums je zustande gebracht hat oder zustande bringen wird. Das Lachen. Und was für ein Privileg, wenn man dieses Wunder bewirken kann. Was für eine Ehre, wenn man weiß, wie das geht. Ihr seid nicht einfach nur Comedians. Ihr bringt den Menschen Hoffnung, ihr umarmt Fremde, ihr vertreibt die Einsamkeit. Ihr seid Ärzte. So, und jetzt haut ab, es ist spät. Wir sehen uns nächste Woche, wenn ich’s mir nicht anders überlege.«
Die Teilnehmer erhoben sich von ihren Plätzen und verabschiedeten sie mit donnerndem Applaus.
Draußen fragten einige der besseren Comedians Deniz, ob er noch auf einen Drink mitkommen wolle. Deniz nahm das als hundertprozentige Bestätigung, dass er mit seinem Programm auf dem richtigen Weg war, und flüsterte Azime zu, daran könne man doch sehen, dass er der Star des Kurses sei. Azime trottete hinter den anderen her, auch wenn sie ein wenig Angst hatte, jemand könne sie sehen, da sie ohne Erlaubnis ihrer Eltern hier war.
In dem lärmenden Pub verzog sie sich in eine Ecke und trank eine Cola. Sie saß dabei, hörte zu,
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