Furor
Meter fünfundsiebzig. Er wirkte sportlich und irgendwie militärisch.Vielleicht lag das an der Frisur. Die Nackenhaare waren ausrasiert.
Als Sebastian auf dem Weg zu seiner eigenen Wohnung noch einmal über die Schulter schaute, lächelte Barth ihm zu, während er am Schloss seiner Wohnungstür hantierte. Die Hausverwaltung hatte offensichtlich keine Zeit verloren und die Bude des alten Förster schon wieder vermietet.
Sebastian schaltete die Musikanlage an und ließ ein paar CDs mit dem Zufallsgenerator abspielen.
War dieser Barth nicht ziemlich aufdringlich gewesen, fragte sich Sebastian. Er konnte sich schon jetzt nicht mehr an das Gesicht seines neuen Nachbarn erinnern. Musste wohl ein ziemlich nichts sagendes Gesicht sein, eines, das man nur in Verbindung mit dem teuren Anzug wiedererkennen würde. Hoffentlich trägt er den immer, wenn er mir begegnet, sonst werde ich ihn auf der Straße kaum grüßen, dachte Sebastian. Aber vermutlich trug Barth seine teuren Anzüge gerade, um sein langweiliges Äußeres auszugleichen. Bestimmt trug er gar nichts anderes als teure Anzüge.
Die Pizza war während des Gesprächs kalt geworden, schmeckte aber noch. Sebastian schaltete den CD-Player aus, den Fernseher an und machte es sich in dem großen, alten Ohrensessel gemütlich, der wie ein Thron das Wohnzimmer dominierte. Was wollte er sehen? Einen Western. Einen schönen alten Schwarzweiß-Western wollte er sehen, in dem die Guten gut und die Bösen richtig böse und zum Abschuss freigegeben waren. Dann blieb er jedoch bei den Bildern eines Jagdflugzeugs hängen, das im Tiefflug durch einen Canyon raste. Nach einer Weile hatte er heraus, dass wieder einmal ein Held den Bösewicht verfolgte, der einen Super-Ultra-Hyper-Prototyp von einem Wahnsinns-Flugzeug geklaut hatte, um die Welt zu vernichten. Nicht zu erobern – das hätte Sebastian ja noch verstanden. Nein, es ging darum, die Welt zu vernichten. Alswenn die Menschheit nicht längst dabei wäre, diesen Job mit vereinten Kräften zu erledigen. Die Story war dümmlich und die fantastischen Flugaufnahmen vermutlich von der Air Force zu Werbezwecken finanziert.
Dann folgten Nachrichten. Die Sendung begann mit einem Bericht über einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der einen Vorwurf überprüfen sollte, deutsche Soldaten hätten während der Militäroperation »Freedom Encouragement« im Sudan Zivilisten getötet. Es gab nur wenige Informationen über die Vorgänge in Afrika, doch die Vorwürfe waren schwerwiegend, weshalb der Ausschussvorsitzende in der Sendung mit ernstem Gesicht feststellte, es würde alles getan, um die Angelegenheit restlos aufzuklären.
Die internationalen Nachrichten waren das übliche Katastrophensammelsurium. Nach einem Erdbeben in Südamerika waren in den Elendsvierteln der Großstädte die Blechhütten der Ärmsten zusammengefallen. Robert, erinnerte sich Sebastian, hatte angesichts ähnlicher Bilder mal den Verdacht geäußert, diese Erdbeben würden von den Regierungen ausgelöst, um erstens eine Rechtfertigung für die Räumung der Slums mit Baggern zu haben, und zweitens konnten sie dann auch noch Kohle von den internationalen Hilfsorganisationen kassieren.
Die Lust auf einen Western oder andere Filme war Sebastian vergangen. Er schaltete den Fernseher aus und sah auf die Uhr. Es war spät genug, um ins Bett zu gehen. Er fütterte die Stereoanlage mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 in d-Moll und ließ sich von der Musik sanft in den Schlaf geleiten.
22. April, Morgen
»Herr Raabe? Margarete Weiß, Klinikum Innenstadt. Sie sind doch der Sohn von Professor Christian Raabe?«
»Ja?« Sebastian rieb sich den Schlaf aus den Augen. Das Telefon hatte ihn aus dem Bett gejagt, und er war alles andere als wach. Angestrengt bemühte er sich zu verstehen, was die Frau am anderen Ende der Leitung sagte.
»Ich bin Ärztin am Klinikum und Ihr Vater liegt bei uns auf der Station. Ihr Anwalt hat sich mit uns in Verbindung gesetzt und alle Formalitäten im Zusammenhang mit Ihrem Vater erledigt.«
Mein Anwalt? Sebastian begriff nicht, wen die Frau meinte. Dann wurde ihm klar, dass sie von Lannert sprach.
»Sie wissen ja, wie es um Ihren Vater steht, nicht wahr?«, fuhr die Frau fort. »Nun. Es tut mir alles sehr Leid für Sie. Aber wir sollten bald die Maschinen abstellen und ihn zur Beerdigung freigeben.«
Sebastian riss sich zusammen. Er hatte das Telefon mit ins Badezimmer genommen und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Die
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