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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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als wäre er unzerbrechlich. Dann packten sie und Tessa mit jeweils einer Hand den Türgriff und drückten die Tür gemeinsam gegen den Reibungswiderstand der Schiene zu.
    Chevette richtete sich auf, drehte sich um, schaute an den schwarzen NATO-Drahtrollen vorbei auf das heller werdende 53
    Grau hinaus – mehr konnte sie vom Meer nicht sehen – und verspürte eine Art Schwindelgefühl, als stünde sie eine kurze Sekunde lang am Rande der sich drehenden Welt. Sie hatte dieses Gefühl schon früher gehabt, auf der Brücke, oben auf dem Dach von Skinners Bude, hoch über allem; hatte einfach nur dort gestanden, in einem Nebel, der die Bucht füllte und jedes Geräusch aus einer immer neuen und anderen Entfernung zurückwarf.
    Tessa ging die vier Stufen zum Strand hinunter, und Chevette hörte den Sand unter ihren Schuhen knirschen. So still war es.
    Sie erschauerte. Tessa bückte sich und spähte unter die Terrasse.
    Wo war er?
    Aber sie sahen ihn nicht, weder dort noch als sie anschließend durch den Sand an der Terrasse der alten Barbara vorbeistapften, wo die großen Fenster alle mit Steppfolie und sonnengebleichter Pappe abgedeckt waren. Barbara war eine Hausbesitzerin aus der Zeit vor der Katastrophe, und sie ließ sich nur selten blicken.
    Tessa hatte versucht, den Kontakt zu ihr zu pflegen, hatte sie in ihre Dokumentation aufnehmen wollen, eine interstitielle Einer-Gemeinschaft, eine Eremitin im eigenen Haus, die sich inmitten von lauter WG-Häusern verschanzte. Chevette fragte sich, ob Barbara sie beobachtete, als sie an ihrem Haus vorbeigingen und zwischen diesem und dem nächsten hindurch zu Tessas nahezu würfelförmigem Van mit dem vom herumwehenden Sand zer-kratzten Lack.
    Irgendwie kam ihr das alles mit jedem Schritt mehr wie ein Traum vor, und nun schloss Tessa den Van auf, nachdem sie mit einer Taschenlampe zum Fenster hineingeleuchtet hatte, um sich zu vergewissern, dass er nicht drinnen wartete, und als Chevette auf der Beifahrerseite einstieg und sich auf dem knarrenden Sitz niederließ, dessen Bezug mit Elastikschnur über geripptem Kunststoff festgebunden war, wusste sie, dass sie fortging. Irgendwohin.
    Und das war ihr ganz recht.
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8
    DAS LOCH
    riften.
    D Laney driftet, lässt sich treiben.
    So macht er es. Er weiß, dass es nur geht, wenn er loslässt. Er gibt dem Zufälligen Raum.
    Wenn man dem Zufälligen Raum gibt, besteht die Gefahr, dass sich dabei das Loch auftut.
    Das Loch ist das, worum Laneys Wesen herumgebaut ist. Das Loch ist Abwesenheit im innersten Kern. In dieses Loch hat er immer alles Mögliche gestopft: Drogen, Beruf, Frauen, Informationen.
    In letzter Zeit vor allem Informationen.
    Informationen. Diesen Strom. Diese... Korrosion.
    Driften.
    Vor seiner Reise nach Tokio ist Laney einmal im Schlafzimmer seiner Suite im Chateau aufgewacht.
    Es war dunkel, nur das Zischen von Reifen auf dem Sunset; das gedämpfte Rattern eines Hubschraubers, der in den Hügeln dahinter auf der Jagd war.
    Und das Loch direkt neben ihm in den einsamen Weiten seines Doppelbetts.
    Das Loch, ganz nah, ganz intim.
    55
    9

TAO
    unte Obstpyramiden unter summendem Neonlicht.
    B Er sieht zu, wie der Junge einen zweiten Liter dickflüssigen Fruchtsaft trinkt, den gesamten Inhalt des großen Plastikbechers scheinbar mühelos in sich hineinschüttet, ohne auch nur einmal abzusetzen.
    »Kalte Sachen soll man nicht so schnell trinken.«
    Der Junge sieht ihn an. Zwischen seinem Blick und seinem Wesen ist nichts: keine Maske. Keine Persönlichkeit. Taub ist er offenbar nicht, denn er hat durchaus verstanden, dass er ein kaltes Getränk bekommen sollte. Aber bisher gibt es kein Anzeichen dafür, dass er auch sprechen kann.
    »Sprichst du Spanisch?« In der Sprache Madrids, die er schon viele Jahre nicht mehr gesprochen hat.
    Der Junge stellt den leeren Becher neben den ersten und sieht den Mann an. Er hat keine Furcht.
    »Die Männer, die mich angegriffen haben – waren das deine Freunde?« Er zieht eine Augenbraue hoch.
    Nichts.
    »Wie alt bist du?«
    Älter als sein seelisches Alter, schätzt der Mann. Spuren rasierter Bartstoppeln oberhalb der Mundwinkel. Braune Augen, klar und friedlich.
    Der Junge sieht die beiden leeren Plastikbecher auf dem abgewetzten Stahltresen an. Er blickt zu dem Mann auf.
    »Noch einen? Willst du noch einen?«
    Der Junge nickt.
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    Der Mann gibt dem Italiener hinter dem Tresen ein Zeichen und wendet sich wieder dem Jungen zu.
    »Hast du einen Namen?«
    Nichts. Nichts regt sich in

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