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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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wusste er. Irgendetwas in ihm brachte ihn dazu, einfach zu handeln – warum, wusste er nicht –, und zwar immer zum denkbar schlechtesten Zeit-punkt.
    Erst wägen, dann wagen. Überleg dir die Folgen. Denk nach.
    Er dachte nach. Jemand hatte seinen kurzen, aber unfreiwilli-gen Aufenthalt in Selwyn Tongs VR-Korridor dazu benutzt, ihm 118
    den Vorschlag zu übermitteln, er solle sich seinen Kreditchip aus diesem speziellen Bankautomaten holen und dann bei GlobEx vorbeischauen. Gut möglich, dass es Tong selbst gewesen war, der sozusagen über einen zweiten Kanal mit ihm gesprochen hatte; vielleicht war es aber auch jemand anderes gewesen, der sich in eine nicht eben über Weltklassesicherheitsvorkehrungen verfü-
    gende Site gehackt hatte. Die speziellen optischen Veränderungen waren allerdings eigens für Rydell vorgenommen worden und sahen schon von weitem nach Hackern aus. Nach Rydells Erfahrung konnten Hacker einfach nicht widerstehen, eine große Show abzuziehen, und neigten dazu, auf Künstler zu machen.
    Und er wusste, dass sie einen in Schwierigkeiten bringen konnten und es meistens auch taten.
    Er schaute auf die GlobEx-Wölbung.
    Und handelte.
    Er brauchte nicht so lange wie am Bankautomaten, um sich auszuweisen und die Luke aufzubekommen. Das Päckchen war größer, als er erwartet hatte, und schwer für seine Größe. Wirklich schwer. Teuer wirkendes Verpackungsmaterial mit Schaumstoffkern, sehr exakt mit grauem Plastikklebeband verschlossen und mit animierten GlobEx-Maximum-Express-Hologrammen und Zollaufklebern übersät. Er sah sich den Lieferschein an. Es kam offenbar aus Tokio, aber die Rechnung ging an Paragon-Asia Da-taflow mit Sitz in der Lygon Street in Melbourne. Rydell kannte niemanden in Australien, aber er wusste, dass es angeblich un-möglich und eindeutig illegal war, internationale Sendungen zu einer dieser GlobEx-Stellen zu verschicken. Dafür brauchte man eine Privat-oder Geschäftsadresse. Diese Ausgabestellen waren nur für Inlandszustellungen gedacht.
    Verdammt. Ganz schön schwer, das Ding. Er klemmte sich das etwa sechzig Zentimeter lange und fünfzehn Zentimeter dicke Päckchen unter den Arm und ging zurück, um seinen Beutel ab-zuholen.
    Der stand offen auf dem kleinen Tresen, wie er nun sah, und 119
    der Wachmann mit den hellen Augenbrauen hielt Rydells pinkfarbene Lucky-Dragon-Hüfttasche in der Hand.
    »Was machen Sie da mit meinem Beutel?«
    Der Wachmann blickte auf. »Das ist Eigentum von Lucky Dragon.«
    »Sie dürfen das Gepäck der Leute nicht aufmachen«, sagte Rydell. »Steht im Notebook.«
    »Ich muss das als Diebstahl behandeln. Sie haben da Lucky-Dragon-Eigentum drin.«
    Rydell entsann sich, dass er das Keramikmesser in der Hüfttasche verstaut hatte, weil ihm nichts anderes eingefallen war, was er damit machen konnte. Er versuchte sich zu erinnern, ob das hier illegal war oder nicht. In Südkalifornien waren solche Messer verboten, das wusste er, aber in Oregon nicht.
    »Das ist mein Eigentum«, sagte Rydell, »und Sie geben es mir auf der Stelle zurück.«
    »Tut mir leid«, sagte der Mann bedächtig.
    »He, Rydell«, sagte eine vertraute Stimme, und die Tür wurde so heftig aufgerissen, dass Rydell deutlich etwas im Schließmecha-nismus knacken hörte. »Na, alles paletti, du Arsch?«
    Rydell wurde im Nu von einem Nebel aus Wodka und fehlge-leitetem Testosteron eingehüllt. Er drehte sich um und sah Creedmore, der ihn wild angrinste und ganz offensichtlich nicht mehr zur menschlichen Schöpfung zu rechnen war. Hinter ihm ragte ein korpulenterer Mann auf, blass und fleischig, mit dunklen, eng beieinander stehenden Augen.
    »Sie sind betrunken«, blaffte der Wachmann. »Machen Sie, dass Sie rauskommen.«
    »Betrunken?« Creedmore zuckte übertrieben zusammen und mimte schreckliche emotionale Qualen. »Der sagt, ich bin betrunken ...« Creedmore drehte sich zu dem Mann hinter sich um.
    »Randy, dieser Scheißkerl sagt, ich bin betrunken.«
    Der große, schwere Mann, dessen Mund in einem so groben, bartstoppligen Gesicht klein und seltsam zart wirkte, zog sofort 120
    die Mundwinkel herunter, als wäre er aufrichtig und zutiefst betrübt darüber, dass ein Mensch einen anderen so unfreundlich behandeln konnte. »Dann versohl ihm doch seinen schwulen Arsch«, schlug er leise vor, als böte dies zumindest die wehmütige, wenn auch überaus geringe Aussicht auf eine Aufmunterung nach einer gewaltigen Enttäuschung.
    »Betrunken?« Creedmore sah wieder den Wachmann an. Er

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