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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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beugte sich über den Tresen, das Kinn auf gleicher Höhe mit dem oberen Rand von Rydells Matchbeutel. »Was für ‘n Scheiß ziehst du hier mit mei’m Kumpel ab?«
    Creedmore strahlte jetzt eine amphetamingeschwängerte, rep-tilienhafte Gefährlichkeit aus; sein Zorn war schnurstracks über den Säugetierlevel hinausgeschossen. Rydell sah in Creedmores Wange einen kleinen Muskel pulsieren, stetig und unfreiwillig, wie ein winziges zweites Herz. Er merkte, dass Creedmore die ungeteilte Aufmerksamkeit des Wachmanns hatte, und griff sich mit einer Hand seinen Matchbeutel und mit der anderen die pinkfarbene Hüfttasche.
    Der Wachmann versuchte, ihm beides wieder zu entreißen – was eindeutig ein Fehler war, weil er dafür beide Hände brauchte.
    »Leck mich, du Schwanzlutscher!« kreischte Creedmore. Er schlug weitaus flinker und kraftvoller zu, als Rydell ihm zugetraut hätte, und versenkte die Faust bis zum Handgelenk im Bauch des Wachmanns, direkt unterm Brustbein. Der überraschte Wachmann klappte vornüber zusammen. Als Creedmore ausholte, um den Mann ins Gesicht zu schlagen, verhedderte sich seine Faust nicht ohne Rydells Zutun in den Gurten der Hüfttasche, wobei Rydell beinahe das unförmige Päckchen heruntergefallen wäre.
    »Komm schon, Buell«, sagte Rydell und wirbelte Creedmore wieder zur Tür hinaus. Ihm war klar, dass irgendwer inzwischen auf eine Fußtaste getreten haben würde.
    »Der Scheißkerl sagt, ich bin betrunken«, protestierte Creedmore.
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    »Na, das bist du doch auch, Buell«, sagte der massige Mann hinter ihnen schwerfällig.
    Creedmore kicherte.
    »Jetzt aber weg hier«, sagte Rydell und setzte sich Richtung Brücke in Bewegung. Unterwegs versuchte er, die Hüfttasche wieder in den Matchbeutel zu stopfen, ohne dabei das gefährlich lose unter seinem Arm klemmende GlobEx-Päckchen zu verlieren.
    Eine Windbö trieb ihm Sand in die Augen, und während er ihn wegblinzelte, bemerkte er zum ersten Mal, dass der Lieferschein nicht an ihn, sondern an »Colin Laney« adressiert war.
    Colin Leerzeichen Laney. Weshalb hatten sie das Päckchen dann Rydell ausgehändigt?
    Gleich darauf waren sie im dichten Menschengewimmel und gingen die Rampe der unteren Ebene hinauf.
    »Was ist das denn für ‘n Scheiß?« fragte Creedmore und spähte nach oben.
    »San Francisco – Oakland Bay«, sagte Rydell.
    »Verdammt.« Creedmore musterte die Menge mit zusammengekniffenen Augen. »Das stinkt ja wie ‘n beschissener Köder-kasten. Jede Wette, dass man sich hier ‘ne echt schräge Möse auf-reißen kann.«
    »Ich brauch was zu trinken«, meinte der massige Mann mit dem zarten Mund leise.
    »Ich glaube, ich auch«, sagte Rydell.
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STRESS
    ontaine hat zwei Frauen. Kein sonderlich erstrebenswerter FZ ustand, wenn man ihn fragt.
    Sie haben einen wackligen Burgfrieden geschlossen, diese zwei Frauen, und leben in einem gemeinsamen Haushalt weiter drü-
    ben auf der Oakland-Seite. Fontaine schläft seit einiger Zeit lieber hier in seinem Laden.
    Die jüngere Frau (mit achtundvierzig rund fünf Jahre jünger als die andere) ist eine hoch gewachsene, hell häutige Jamaikanerin, die eigentlich aus Brixton stammt, und Fontaine sieht in ihr mittlerweile die Strafe für all seine früheren Sünden.
    Sie heißt Ciarisse. Wenn sie wütend ist, verfällt sie wieder in einen Dialekt aus ihrer Kindheit: »Du nimmsas Zeuch, Fönten.«
    Fontaine nimmt das Zeug seit ein paar Jahren, und er nimmt es auch heute, denn Ciarisse steht wütend vor ihm, einen Einkaufs-beutel voller katatonischer japanischer Babys in der Hand, wie es scheint.
    In Wahrheit sind es lebensgroße Puppen, die in den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Trost ferner Großeltern hergestellt worden sind, und zwar jeweils nach Fotos eines echten Kindes. Produziert hat sie eine Firma in Meguro namens Another One, und sie werden immer mehr zu Sammlerobjekten, weil jedes Exemplar bis zu einem gewissen Grad einmalig ist.
    »Ich will sie nicht«, gibt Fontaine zu.
    »Hör zu«, erklärt ihm Ciarisse und faltet ihren Dialekt geschmeidig weg, »ist doch gar keine Frage, dass du die Dinger nimmst. Du 123
    nimmst sie, du verhökerst sie, du kriegst satte Kohle dafür, und die gibst du mir. Sonst bleib ich nämlich garantiert nicht da, wo du mich sitzen gelassen hast, so dicht an dicht mit diesem verrückten Weibsstück, das du geheiratet hast.«
    Mit dem ich verheiratet war, als du mich geheiratet hast, denkt Fontaine, und das war kein Geheimnis.

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