Fyn - Erben des Lichts
ich sie ebenfalls ansah.
»Das weiß ich nicht«, sagte sie im Flüsterton zu ihrem Sohn, doch ich verstand jedes Wort. »Es geht uns auch nichts an.«
Der Junge gab noch nicht auf. »Er sieht so komisch aus, ist er krank?« Seine Mutter stieß einen verärgerten Laut aus und zog an seinem Arm, um ihn zum Weitergehen zu animieren.
Norrizz verschränkte die Arme vor der Brust, verlagerte sein Gewicht auf ein Bein und warf mir einen spitzbübischen Blick zu. Mit einer Geste bedeutete er mir, die Kapuze wieder herunterzuziehen. Ich tat wie mir geheißen und schnitt dem Jungen eine Grimasse. Er erschreckte sich und gab dem Zug nach, den die Mutter auf seinen Arm ausübte. Sie gingen an uns vorüber, ohne dass sich das Kind noch einmal umdrehte. Ich lachte, Norrizz grinste.
»Weshalb solltest du dir keinen Spaß daraus machen, wenn die Menschen dich für ein Schreckgespenst halten?«, fragte er. Ich erwiderte nichts, denn insgeheim stimmte ich ihm zu. Meine Laune war ohnehin im Keller, und ich war es leid, ständig so zu tun, als wäre ich normal.
Mit heruntergezogener Kapuze setzte ich meinen Weg fort. Ich ging erhobenen Hauptes und festen Schrittes. Die Menschen auf dem Gehsteig wichen zur Seite, wenn sie mich kommen sahen. Ich überragte die meisten von ihnen um eine Kopflänge. Meine äußere Erscheinung und der Ruf, der mir bis ins Hafenviertel vorausgeeilt war, bahnten mir den Weg. Vater hatte jahrelang versucht, meine Existenz mehr oder weniger geheim zu halten, vielleicht, weil er sich für mich schämte. Doch gegen einen rebellischen Teenager vermochte auch er nichts auszurichten. Ich habe Jahre darauf verwendet, es Breanor recht zu machen, doch irgendwann war mein Enthusiasmus in Frust umgeschlagen, weil ich vergeblich nach Lob und Anerkennung gelechzt hatte. Also ging ich, wohin ich wollte und genoss es zeitweise sogar, für einen Verrückten gehalten zu werden. Zweifelsohne warf dies nicht das beste Licht auf die Weiße Liga, doch Breanor und der König waren überzeugt von meiner Nützlichkeit, weshalb sie es nicht gewagt hätten, mich zu verstoßen. Von Anfang an hatten sie mir nie eine Wahl gelassen, die Frage nach einem Berufswunsch hatte sich mir nie gestellt.
Wir erreichten die zweiunddreißigste Straße, die im rechten Winkel auf die Hafenpromenade stieß und an deren Ende ich mein Ziel finden würde: den Schrottplatz. Es war mit Abstand die gefährlichste Gegend des gesamten Viertels. Straßengangs kennzeichneten ihre Reviere mit Schmierereien an den verkommenen Häuserwänden, an beinahe jeder Ecke lockten Prostituierte männliche Passanten in windige Etablissements. Es roch nach Unrat und Abfall. Als wir in die Straße einbogen, rümpfte Norrizz die Nase.
»Das ist widerlich! Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen«, empörte er sich.
»Dann verschwinde doch«, presste ich hervor. »Ich habe nie von dir verlangt, mich zu begleiten, und ich kann dich momentan nicht gebrauchen.« Ich steckte die Hände in meine Hosentaschen, senkte den Kopf und beschleunigte meine Schritte. Ich wusste, wie sinnlos meine Bemühungen waren, den weißhaarigen Missetäter zum Gehen zu bewegen. Er erschien und verschwand, wann es ihm beliebte. Manchmal weckte er mich sogar mitten in der Nacht oder lenkte mich vom Lernen ab. Eine echte Nervensäge.
»Ach, Fyn, mein lieber Freund«, sagte er und warf mir einen tadelnden Blick zu. »Wie oft hatten wir das Thema denn nun schon? Du müsstest doch allmählich gemerkt haben, dass du mit deinem Gezeter bei mir nicht weiterkommst.«
In der Tat hatte ich das. Deshalb ergab ich mich in mein Schicksal und bemühte mich, ihn für den Rest des Weges zu ignorieren.
Der Schrottplatz lag am Ende der Straße auf einer kleinen Anhöhe. Ein Stacheldrahtzaun umsäumte das Gebiet, jedoch diente er wohl eher der Abschreckung als dem Schutz, denn an mehreren Stellen wies der Zaun Löcher auf. Selbst wenn man ein erleuchtetes Portal errichtet, einen roten Teppich ausgerollt und ein paar leicht bekleidete Damen am Eingang postiert hätte, bezweifelte ich, dass irgendjemand außer mir versucht hätte, hierher zu gelangen. Der Schrottplatz war ein gespenstisch anmutender Ort, denn er lag fortwährend im dichten Rauch der dahinterliegenden Gießerei und Müllverbrennungsanlage. Dementsprechend einladend roch es dort.
Ich drängte mich an der gewohnten Stelle durch den Zaun und betrat den Hort des Chaos. Der Anblick schmerzte. Ich hasste Unordnung. Auch ohne mich umzudrehen, wusste ich,
Weitere Kostenlose Bücher