Gabe der Jungfrau
angst, die augenblickliche Vertrautheit auf diese Weise zu zerstören, hinderte ihn daran. Stattdessen drückte er ihr sanft einen Kuss auf die Stirn. »Komm meine Schöne, wir ziehen weiter.«
Auch anna Maria spürte eine zuvor nicht gekannte Vertrautheit mit Veit. Die Erinnerungen an die Welpen und die Freude, dass die Wölfe auch sie erkannt und angenommen hatten, empfand sie wie ein gemeinsames Band zwischen ihr und dem Wolfsbanner. In ihrem Bauch kribbelte es, und sie ergriff Veits Hand und ließ sich von ihm mitziehen.
Am Nachmittag wurde der Regen heftiger. Der Pilgermantel hing nass und schwer an anna Marias Körper.
»Woher weißt du, in welche Richtung wir gehen müssen?« Sie schnaufte, als sie einen Hügel hinaufstiegen.
»Ich habe andreas Täuber gefragt, bevor er die Burg verließ. allerdings können wir nicht die Wege nutzen, sondern müssen querfeldein gehen. So haben unsere Verfolger es schwerer, uns aufzuspüren.«
Anna Maria blieb stehen und beugte sich keuchend nach vorne. Die Wölfe warteten in einigem abstand. als sie wieder gleichmäßig atmen konnte, fragte sie: »Glaubst du, dass Johann uns suchen wird?«
»Nein, er wird nicht selbst nach uns suchen, sondern nach uns suchen lassen. Mein Bruder wird die Wolfsjäger auf uns hetzen!«
Anna Marias augen weiteten sich bei dieser Vorstellung. »Diese beiden Widerlinge?«
»Sie sind die besten Spurenleser weit und breit!«
»Dann werden sie uns finden!« anna Maria erschauderte.
»Das denke ich auch! allerdings hoffe ich, dass sie uns zuerst in der Wolfsschlucht suchen werden. Hans hat keinen blassen Schimmer, dass wir uns in entgegengesetzter Richtung bewegen. So hätten wir einen Vorsprung von über einer Woche.«
»Wie lange brauchen wir, um nach Mühlhausen zu gelangen?«
Veit zuckte mit den Schultern, dann schätzte er: »Vielleicht drei Wochen.«
»Warum haben wir nicht dein Pferd genommen, mit dem du damals auf die Burg gekommen bist? Dann wären wir schneller.« aus anna Marias Stimme konnte er einen leichten Vorwurf heraushören.
»Mit dem Pferd wären wir nur schneller, wenn wir die üblichen Wege nehmen würden, aber nicht, wenn wir uns durchs Gehölz schlagen müssen. außerdem habe ich gehofft, dass wir zu Fuß die Wölfe wiederfinden würden.«
Sein Blick schweifte zu dem kleinen Rudel. Versöhnlich nahm anna Maria seine Hand und drückte sie sanft. Plötzlich donnerte es in der Ferne, und ein Blitz zuckte am Himmel.
»Komm, bevor das Gewitter über uns ist, müssen wir einen Platz für die Nacht gefunden haben.« Veit griff nach anna Marias Hand, und zusammen liefen sie Hand in Hand den Hügel hinunter über eine Wiese in ein kleines Wäldchen hinein.
Anna Maria war überrascht, wie schnell Veit einen Platz für ihr Nachtlager gefunden hatte. Er hatte eine Wildschweinmulde mit trockenem Laub ausgepolstert und Tannenzweige so gegeneinandergestellt, dass sie ein Dach bildeten, an dem der Regen abfließen konnte.
Erschöpft zog anna Maria den nassen Umhang aus und legte sich hin. Veit lag dicht neben ihr.
Als der Donner über ihnen grollte, verschwanden die Wölfe im Wald, und sie waren allein. anna Maria lag angespannt neben Veit, der behutsam seinen arm unter ihren Kopf schob. als er spürte, dass sich ihr Körper versteifte, flüsterte er: »Du musst keine angst haben, anna Maria! Ich würde dir nie Leid zufügen.« Daraufhin ließ sie es zu, dass er ihren Kopf behutsam auf seine Brust zog. anna Maria atmete laut ein und aus und entspannte sich.
Sie konnte hören, wie Veits Herz dumpf in seinem Brustkorb schlug. Mit geschlossenen augen sog sie seinen Duft ein und fühlte sich wie betrunken.
»Nun erzähl mir deine Geschichte, Veit!«, forderte sie ihn auf. anna Maria spürte, wie er ihr einen Kuss aufs Haar hauchte.
»Es gefällt mir, wie du meinen Namen aussprichst.«
Ungläubig hob anna Maria den Kopf und blickte ihn an. »Was kann man bei Veit falsch sagen?«
»Nichts! aber wenn du ihn aussprichst, dann klingt es besonders melodisch.« Lächelnd legte sie sich wieder hin und wartete, bis er zu erzählen begann.
»Es ist schon einige Jahre her. Mein Bruder und ich waren eben von einer Fehde zurückgekehrt. Ich hatte mir angewöhnt, nach jeder Heimkehr einige Tage im Wald zu verschwinden, um allein zu sein und zu jagen.
Als ich einen Hirsch verfolgte, fiel ich jedoch einen abhang hinunter. Bewusstlos blieb ich liegen. als ich wieder zu mir kam, lag ich in einer Höhle.«
»Die Geschichte erinnert
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