Gabe der Jungfrau
zerschnittenen Streifen herabhingen, waren aus dunkelblauer, stark gefilzter Wolle. Seine dunkelblauen Pluderhosen reichten bis zu seinen Schuhen.
Die Schuhe erinnerten anna Maria an ein Kuhmaul, da sie vorne so breit wie ein Maul geschnitten waren.
Als ihr Blick auf seinen Schamlatz fiel, röteten sich ihre Wangen, und sie drehte ihren Kopf zur Seite.
»Woher kommst du, und was hast du mit den Wolfsjägern zu schaffen?«, fragte Johann sie nun scharf.
Anna Maria atmete tief durch. Wie oft musste sie ihre Geschichte wohl noch erzählen? Gleichgültig erklärte sie, woher sie stammte, warum sie unterwegs war und dass die Wolfsjäger sie entführt hatten.
»Was hat ein Mädchen nachts im Wald zu suchen?«, fragte Johann misstrauisch.
»In meinen Träumen …«, sie stockte kurz und fuhr dann fort: »Unser Vater hat meine Brüder in den Krieg geschickt, denn sie
sollen für die Rechte der Bauern kämpfen. Ich habe gesehen, dass beide in Gefahr schweben. Deshalb bin ich auf der Suche nach ihnen. Ich muss sie gefunden haben, bevor der erste Schnee fällt, sonst wird es zu spät sein!«
Johanns augen forschten stumm in ihrem Gesicht, bevor er ehrfurchtsvoll fragte: »Du bist wahrhaftig eine Seherin?«
Anna Maria zögerte mit ihrer antwort. Nie in ihrem Leben hatte sie gelogen – bis auf ein paar kleine Notlügen. Nie hatte sie wissentlich etwas behauptet, was nicht stimmte. Doch jetzt erklärte sie ohne Zweifel in der Stimme: »Ja, ich bin eine Seherin!«
Johann lachte auf. »Was bin ich doch für ein Glückspilz!«
In dem Moment wurde die Tür aufgestoßen, und Gerhild trat ein. Der Landsknecht wandte sich ihr zu, aber als er ihr finsteres Gesicht sah, befahl er ihr sogleich mit harter Stimme: »Du wirst dafür verantwortlich sein, dass es ihr gut geht und dass niemand sie anrührt!«
»Auch du nicht?«, wollte die dunkelhaarige Frau herausfordernd wissen.
Johann zischte: »Ich habe dich gewarnt, Gerhild. Zügle deine Zunge, sonst wird eine andere mein Bett teilen! Wir beide wissen, dass jeder austauschbar ist.« Er packte sie und presste seine Lippen hart auf die ihren. Dann stieß er sie weg und ging lachend nach draußen.
Die Frau wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und spuckte vor anna Marias Füßen aus. »Wehe, du kommst mir ins Gehege!«, schleuderte sie der jungen Frau entgegen und verließ ebenfalls den Raum.
Über eine schmale Wendeltreppe wurde anna Maria nach unten in einen Raum mit riesigen nackten Steinwänden gebracht. Eisige Kälte empfing sie und ließ sie erzittern. Sie hatte das Gefühl, sich tief unter der Erde zu befinden. Nur drei runde
Schächte an der hohen gewölbten Decke ließen Tageslicht und frische Luft herein. Scheinbar wurde der langgezogene, in einem Bogen verlaufende Raum als Lager genutzt. Einzelne Fässer sowie Körbe und Kisten mit Gemüse und Obst standen an den Wänden. Gepökeltes Fleisch, auch Wurstwaren, an Schnüren aufgehängt, wurde hier gehortet.
Einer der Männer, der anna Maria hergebracht hatte, warf ihr einen Strohsack zu, sodass sie nicht auf dem blanken Lehmboden sitzen musste. Dann hörte sie, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde.
»Verhungern werde ich hier jedenfalls nicht!«, tröstete sie sich. als habe der Söldner ihre Worte gehört, drehte sich erneut der Schlüssel im Schloss, und der Mann streckte seinen Kopf herein. »Wagt nicht, Euch an den Vorräten zu vergreifen! Wir wissen genau, was und wie viel hier gelagert ist.«
»Soll ich etwa verhungern?«, schrie anna Maria empört. Erschrocken hörte sie den dumpfen Schall ihrer Stimme in dem hohen Raum.
»Seid still, Weib! Ihr werdet genügend zu essen bekommen!«
Der Schlüssel knackte erneut im Schloss, und anna Maria war allein.
Wütend und mit Tränen in den augen zog sie den mit Stroh gefüllten Sack vor ein Fass, an das sie sich anlehnen konnte, und setzte sich nieder. Zuvor nahm sie sich einen apfel aus einer der Kisten.
»Das beweise mir erst mal einer, dass die Äpfel abgezählt sind!«, sagte sie trotzig und biss hinein.
Kapitel 3
Die fünf jungen Burschen setzten gemeinsam mit Jacob Hauser schweigend ihren Weg nach Mühlhausen fort. Ohne zu zögern hatten alle fünf zugestimmt, den ursprünglichen Plan aufzugeben und jetzt nach Thüringen zu wandern.
Mehrmals hatte Matthias versucht, den alten umzustimmen und Florian zurückzuholen, doch Hauser zeigte sich unerbittlich. »Ich ziehe in einen Kampf und kann den Jungen nicht gebrauchen«, wies er Matthias
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