Gabe des Blutes
Mann legte die Hand auf sein Herz und machte eine langsame und respektvolle Verbeugung. »Seid ehrerbietig gegrüßt von seiner Majestät, dem Obersten König Derrik, Primus Reule. Ich wurde gebeten, im Auftrag unseres Volkes Bekanntschaft mit Euch zu schließen.«
»Seid willkommen, Zweiter Befehlshaber Lothas. Ist das der einzige Grund, warum Ihr nach Jeth kommt? Um Beziehungen mit den Sánge aufzunehmen? Ich muss gestehen, das ist ungewöhnlich.« Reule konnte in seinem Geist keinerlei Feindseligkeit gegenüber den Sánge feststellen. Er machte jedoch eine Gruppe unter ihnen aus, die er genauer in Augenschein nehmen wollte. Ein paar von ihnen hatten etwas Abweisendes. Doch das war ein kleiner, ausgewählter Teil der Gruppe. Der Rest war neutral, intelligent und so unvoreingenommen, wie sie sich selbst dargestellt hatten.
»Wir nehmen Euch Eure Vorsicht nicht übel, Primus Reule. Wir wissen um Euren Ruf unter anderen Stämmen. Wir sind, wie gesagt, viel toleranter als die meisten. Ich bin sicher, es gibt Dinge bei den Yesu, die nicht nach Eurem Geschmack sind, doch wir hoffen, dass Ihr genauso tolerant seid.«
»Das werdet Ihr trotz unserer Vorsicht feststellen, doch Ihr habt meine Frage nicht beantwortet.«
Lothas lachte erneut schallend, was Reule schließlich ein Lächeln entlockte. Die Art dieses Mannes war einfach ansteckend. »Wohl wahr! Nein, mein Herr, der Grund für unsere Reise ist leider nicht so erfreulich. Wir sind von den Bergen heruntergekommen, um eine schändliche Mörderin zu finden, und wir haben ihre Spur bis in Eure Provinz verfolgt. Wir sind gekommen, um Euch um Hilfe und um Informationen zu bitten.«
In diesem Moment wusste Reule Bescheid.
Sie waren auf der Suche nach Mystique.
15
Es war, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen, und das ganze Rudel erstarrte mit einem Schlag angesichts des wilden Zorns, der ihn durchfuhr.
Reule spürte, wie Darcio seinen Oberarm umklammerte und fest drückte, damit er sich auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentrierte. Seine Stimme klang kalt, als er sich zum Sprechen zwang.
»Wir sprechen darüber in der Behaglichkeit meiner Burg. Seid willkommen in Jeth.«
Reule wandte sich ab und hastete los, während er seinem Rudel in Gedanken Befehle erteilte.
»Geleitet Lothas und die ranghöheren Anführer als Gäste in die Burg. Bringt die Reitervorhut an zwei verschiedenen Plätzen in der Stadt unter. Vorzugsweise an den entgegengesetzten Seiten. Wenn wir ihre ranghohen Leute trennen, sind sie harmlos. Stellt aus Respekt eine Wache für Lothas ab, sofern er es wünscht. Chayne, bring Mystique in meine Gemächer. Halt sie dort um jeden Preis fest. Wenn du zulässt, dass sie sich widersetzt, mach ich dich einen Kopf kürzer. Verstanden?«
»Klar und deutlich, mein Primus«, bestätigte der.
»Saber, ich will Patrouillen in der Stadt, vor allem dort, wo die bewaffneten Männer übernachten. Mach es unauffällig, aber sorg dafür, dass sie unsere Anwesenheit spüren. Niemand zeigt auch nur das kleinste Anzeichen von Feindseligkeit. Verteidiger. Stell sicher, dass das klargeht. Sofern die Yesu nicht jemandes Leben bedrohen, erhebt niemand die Hand gegen sie. Warnen, Entschlossenheit zeigen und sie über unsere Gesetze informieren – all das ist erlaubt, doch keine Gewalt oder Drohgebärden.«
»Verstanden, mein Primus«, sagte der Verteidiger grimmig.
Reule zog sich mit einem Ruck die Reithandschuhe an, während er auf Fit zuging. Wieder streckte Darcio die Hand nach ihm aus und hielt ihn am Arm fest.
»Schon gut, Reule. Es könnte sein, dass du falsch liegst.«
Reule fuhr herum und blickte seinen Schattenmann mit zu schmalen Schlitzen verengten Augen an. »Glaubst du etwa, ich liege falsch?«
Darcio antwortete nicht, und das war Antwort genug, wie er wusste. Er spürte die Spannung in seinem Primus. Und Angst. Große Angst, anders als alles, was Darcio bisher bei Reule erlebt hätte. Er hatte nicht gewusst, dass Reule überhaupt so große Angst haben konnte. Darcio war der schwächste Empath unter ihnen, doch selbst er konnte spüren, wie sie sich um sein Herz legte wie eine Faust.
»Reule«, sagte er leise, »du bist der Führer einer mächtigen Stadt, die hinter dir steht, egal, welche Entscheidung du triffst. Vergiss das nie. Zweifle nie daran. Dieser Sánge-Stamm würde sich opfern, wenn du es befehlen würdest. Sie wissen, dass ihr Leben ohne dich bedeutungslos ist, und sie würden das bis zu ihrem letzten Atemzug beweisen.«
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