Gabe des Blutes
versprochen hatte. Doch das wäre eine Lüge gewesen. Es gab sehr wohl jemanden, vor dem sie sich fürchten musste.
Vor sich selbst.
Was auch immer geschehen war, Mystique hatte es mit aller Macht abgeschottet. Jetzt, wo er sie kannte, ihr Herz kannte und ihr Bedürfnis, Leben zu retten, gab es eine Handlung, die ihre Psyche so zerstören konnte, dass sie es mit ihrem ganzen Wesen unterdrückte.
Jemandes Leben auszulöschen.
Oh, sie hätte den Mut, es zu tun, wenn man sie zum Äußersten trieb, das bezweifelte er nicht. Doch eine Sache zu tun und sie auch zu akzeptieren, waren zwei ganz verschiedene Dinge. Er hatte gespürt, dass es besser wäre, wenn sie sich niemals erinnerte, und er hatte recht gehabt. Wenn man sie dazu gebracht hatte, zu töten, mussten die Umstände …
»Eins sollst du wissen«, flüsterte er eindringlich an ihrem Hals. »Ich hätte es schon früher sagen sollen, aber ich bin ein Mann, und das macht mich zu zwei Dritteln zu einem Dummkopf und zu einem Drittel zu einem Genie. Mein brillanter Teil liebt dich aus ganzem Herzen, Mystique. Die idiotischen Teile ebenfalls, nur dass sie nie wissen, wann sie es zugeben sollen.« Er löste sich von ihr, um ihr in die Augen zu schauen. »Hast du mich verstanden? Ich liebe dich so, wie du jetzt bist, wie du warst und wie auch immer du in Zukunft sein magst. Mein Herz gehört dir und wird immer dir gehören. Seit dem Augenblick, als ich deine Trauer gespürt und erlebt habe.«
Er verschloss ihren Mund erneut mit einem langen, zärtlichen Kuss. Er wartete, bis er spürte, dass sie schlaff an seinen Körper sank, schloss die Augen und wandte sich dann dem Gefühl zu, das durch ihn hindurchströmte. Als er sich von ihren vollen Lippen löste, trugen ihre Beine sie kaum noch, und ihre schläfrigen Augen glänzten.
»Reule«, hauchte sie verwundert. Sie umfasste sein Gesicht mit ihren schmalen Händen, und ihr benommenes Lächeln war so hübsch, dass es schmerzte. »Sag mir, was passiert ist. Behalte deine Sorgen nicht für dich. Ich werde deine Frau und …«
»Du bist meine Frau. In jeder Hinsicht.« Er umfasste ihre Taille und drückte sie zur Bestätigung. »Denk daran, Mystique. Du bist meine Frau. Meine Königin. Und alle werden dich als solche behandeln, oder sie bekommen es mit mir zu tun.«
Mystique spürte plötzlich eine eisige Bedrohung. Ihr Atem ging schneller, und ihre Augen weiteten sich vor Angst, als sie langsam begriff.
»Wer?«, fragte sie. »Wer ist wegen mir gekommen?«
Reule hätte sich und sein Schicksal am liebsten verflucht für das, was er ihr antat, doch er konnte es nicht, weil das Schicksal sie zu ihm geführt hatte. Er beschloss, so offen zu sein wie immer. »Sie nennen sich Yesu. Sie haben die gleiche Hautfarbe wie du und scheinen redliche und wohlmeinende Leute zu sein. Ein Bergstamm. Ich habe noch nie von ihnen gehört, doch ich erkenne, dass sie aufrichtig sind und nichts Böses im Schilde führen.«
»Warum bist du dann so aufgebracht?«
»Sie sind auf der Suche nach einer verbrecherischen Person, die sie durch die Wildnis verfolgt haben.« Er holte tief Atem, um sich zu wappnen. »Eine Mörderin.«
Mystique blinzelte ihn an, und er griff auf ihren Verstand zu. Er nahm keine Gedanken wahr, spürte nur die übermächtige Wirkung seiner Worte.
Dann lachte sie. Ein kurzes freudloses Lachen. Sie wand sich aus seinem Griff und taumelte rückwärts. Sie drehte sich um und hielt sich an einem Stuhl fest. Ihr benommener Blick wanderte durch den Raum, als könnte er die Antworten finden, nach denen sie die ganze Zeit gesucht hatte. Sie lachte erneut, doch diesmal spürte er, dass sich ein hysterischer Beiklang eingeschlichen hatte.
»Mystique, eine Anschuldigung bedeutet noch lange nicht, dass es wahr ist«, rief er ihr sanft in Erinnerung. Er trat auf sie zu, doch sie zuckte zusammen und hob abwehrend die Hand. Die Wand, die sich zwischen ihnen bildete, schmerzte, doch er schob das Gefühl beiseite. Ihr Bedürfnis hatte Vorrang. »Hör mir zu, Liebling. Ich habe noch nicht mit ihnen gesprochen. Sie sind in der Stadt untergebracht. Die Anführer werden in die Jeth-Burg gebracht.«
»Aber was ist, wenn …«
»Nein!«, brüllte er so laut, dass sie zurückwich. »Hast du gehört, Kébé ? Du bist hier sicher. Du wirst dir die Anschuldigungen anhören, an meiner Seite, als meine Prima, und du wirst diese Rolle gefälligst auch spielen! Es ist mir egal, wer sie zu sein behaupten und was sie denken, du bist meine Frau .
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