Gabriel oder das Versprechen
mittags zum
Essen gegangen ist?«
»So genau weiß ich das nicht«,
antwortete sie ausweichend. Ihr war nicht wohl in ihrer Haut. Dass
die Polizei sie zu ihrem Chef befragte, konnte ja nichts Gutes
heißen. »Sie stehen hier unter Wahrheitspflicht und würden sich
strafbar machen, wenn Ihre Aussage falsch ist«, wurde Thiele sehr
deutlich. »Und darauf steht Gefängnis!« Aus seiner langen Erfahrung
als Polizeibeamter wusste er, dass dieser Hinweis meist Wunder
wirkte und die Zunge löste. Aber Frau Felgenhauer blieb bei ihrer
Aussage. »Ich weiß es wirklich nicht, ob er essen gegangen ist.«
Wenn ich doch bloß wüsste, um was es eigentlich geht, dachte sie
dabei.
»Das heißt aber, er war um die
Mittagszeit eine ganze Weile lang weg?« bohrte Thiele
nach.
»Jaa …«, kam es gedehnt und etwas
zögerlich. »Aber er kann sich ja auch an einem der anderen Stände
aufgehalten haben«, ergänzte sie trotzig.
»Gesehen haben Sie ihn aber während
der Mittagszeit nicht?«
»Nein, wirklich gesehen habe ich ihn
nicht«, sagte sie. »Also von wann bis wann haben Sie ihn nicht
gesehen?« Sie zögerte mit der Antwort, denn einerseits wollte sie
ihren Chef nicht in Schwierigkeiten bringen, andererseits hatte sie
auch Angst zu lügen. Der Hinweis, sie könne sich strafbar machen,
hatte die Wirkung bei ihr nicht verfehlt. »Also um zwölf war er auf
jeden Fall noch da, denn da kamen gerade die Nachrichten in ›Eins
Live‹. Kurz danach ist er gegangen, vielleicht zehn Minuten … oder
vielleicht auch eine Viertelstunde
später.«
»Also maximal um 12.20
Uhr?«
»Ja, das kommt hin.«
»Und wann haben Sie ihn dann
wiedergesehen?«
»So um zwei rum, kann aber auch ein
bisschen früher gewesen sein. So genau erinnere ich mich nicht
mehr.«
»Gut, ich fasse noch mal zusammen.
Auf jeden Fall haben Sie ihn zwischen 12.20 Uhr und - sagen wir -
13.45 Uhr nicht gesehen. Stimmt das so?«
»Ja, das ist richtig.« Ihr war
bewusst, dass sie bei den angegebenen Zeiten ein wenig geschummelt
hatte. Für ihren Chef konnte das ja nur gut sein. Und für ihn tat
sie alles. Notfalls auch nicht so ganz bei der Wahrheit zu bleiben.
Ob es sich um einen Unfall handelte? Vielleicht Fahrerflucht? Wenn
es nur ein Blechschaden gewesen ist, wäre es ja nur halb so
schlimm. Warum hatte er ihr nichts gesagt? Sie hätte ihm helfen
können! Er erzählte ihr doch sonst alles. Wie oft hatte sie ihm
schon aus der Patsche geholfen, wenn er wieder mal seine damalige
Ehefrau versetzt hatte und sie als Grund ein plötzliches, nicht
geplantes Geschäftsessen vorgeben musste, das dann meist blond und
langbeinig war …
Während des gesamten Gesprächs hatte
der Oberkommissar sich umfangreiche Notizen gemacht. Er schüttelte
den Kopf, als sein Chef ihn fragte, ob er noch weitere Fragen habe.
Sie verabschiedeten sich von Lagiers Sekretärin, die sichtlich froh
war, die Befragung hinter sich zu haben. Thiele bat sie noch, am
Abend nach Geschäftsschluss bei ihm vorbeizukommen, um das
Protokoll zu unterschreiben. Er ließ ihr seine Karte da, auf der
die Adresse des Düsseldorfer Polizeipräsidiums stand. Sie fuhren
zurück ins Büro. »Was meinst du, hat sie die Wahrheit gesagt?«
fragte Thiele seinen Kollegen unterwegs.
»Naja, es war ja offensichtlich,
dass sie sich zeitlich nicht so ganz genau
festlegen wollte. Aber für die fragliche Zeit konnte sie ihm
jedenfalls kein Alibi geben. Wird die Kollegen in Wuppertal freuen.
Offensichtlich sind sie auf der richtigen Spur.«
Im Kommissariat angekommen, fertigte
Carsten Clauss noch schnell das Protokoll, unterschrieb es
gemeinsam mit seinem Chef, und faxte es ins Polizeipräsidium nach
Wuppertal, wo es 13.50 Uhr eintraf.
32
Polizeipräsidium Wuppertal, Freitag,
22. Mai, 14.05 Uhr
Während des Mittagessens hatten
beide vermieden, über den Fall zu sprechen, zumal sie ja als
Mitglieder desselben Golfvereins ausreichend Gelegenheit fanden,
sich dem Thema Golf zu widmen. Dr. Janhssen schwärmte vom Club
Quinta de Cima in Tavira an der Algarve, wo er Anfang März eine
Woche Urlaub gemacht hatte, und den er wärmstens
empfahl.
»Ich bin schon froh, wenn ich ein-
bis zweimal im Monat bei uns im Club zum Spielen komme«, winkte er
ab. »Ich habe einfach nicht die Zeit. Vielleicht in zwei Jahren,
wenn ich in Pension gehe.«
Auf dem Weg zurück ins
Vernehmungszimmer konnte Dr. Janhssen sich dann aber doch nicht
ganz zurückhalten. »Wie siehst du denn die Sache mit
Lagier?«
»Ganz ehrlich? Also, ich
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