Gabriel oder das Versprechen
einschließlich unserer Psychologin, Frau Svea Großmann«,
antwortete Fassbinder ein wenig gereizt. »Also wir hatten uns
gestern nochmals zusammengesetzt, um uns gegenseitig über die
neuesten Ermittlungsergebnisse zu informieren. Dazu notierten wir
alle Daten, Namen und Fakten auf verschiedenen Flipcharts, u.a.
auch den Namen ›B. Lagier‹ wegen der eben bereits erwähnten
Übereinstimmung bei den Besuchsdaten. Ich hatte meine Leute
gebeten, nochmals alle Angaben auf sich wirken zu lassen. Grund
dafür war die Überzeugung unserer Psychologin, dass der Täter uns
Hinweise geben will, uns quasi Rätsel aufgibt, die wir lösen
sollen. Es ist das Spiel mit dem Feuer. Wobei er glaubt, dass wir
das letzte Rätsel nicht erraten können. Es war dann auch Frau
Großmann, die gestern Abend erkannte, dass GABRIEL ein Anagramm für
›B. Lagier‹ ist, also alle Buchstaben seines Namens identisch sind
mit dem vom Täter verwendeten Namen GABRIEL.« Im Raum herrschte
Totenstille. Sowohl der Richter als auch Dr. Janhssen schrieben auf
ihre Notizblöcke den Namen des Beschuldigten, strichen die
einzelnen Buchstaben durch und setzten dahinter - Buchstabe für
Buchstabe - den Namenszug GABRIEL.
»Das ist in der Tat ein weiteres und
wie ich meine ziemlich starkes Indiz. Was meinen Sie?« wandte er
sich an Lagiers Anwalt.
»Das ist doch nur ein purer Zufall«,
entgegnete Janhssen forsch im Bemühen, das drohende Unheil von
seinem Mandanten abzuwenden, der jetzt erstmals dazwischenfunkte,
nachdem er die ganze Zeit geschwiegen hatte. »Das ist doch
lächerlich! Die reinste Kaffeesatz-Leserei! Fehlt nur noch die
Kristallkugel!«
»Herr Lagier! Bitte beruhigen Sie
sich wieder«, versuchte Dr. Janhssen seinen Mandanten zu
beschwichtigen. »Mir genügt das«, ließ sich jetzt der Richter
vernehmen. »Es ergeht folgender Beschluss. Gegen Herrn Bruno Lagier
wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 125 Absatz 1 StPO
Haftbefehl erlassen.« Er unterschrieb das entsprechende Formular,
klappte seine Akte zu, verabschiedete sich mit kurzem Gruß in die
Runde und verließ das Besprechungszimmer. Der die ganze Zeit über
anwesende Polizist legte Lagier die Handschellen wieder an, die der
Richter ihm zu Beginn der Sitzung hatte abnehmen lassen. Dr.
Janhssen besprach sich noch kurz mit seinem Mandanten, den der
Polizist anschließend abführte und nach unten
begleitete.
Mit kurzem Kopfnicken verabschiedete
Dr. Janhssen sich von Fassbinder und meinte, an Dr. Wehmayer
gewandt: »Freu dich nicht zu früh. Das war nur die erste Runde.
Nach Punkten liegt ihr in Front. Doch der Kampf ist auf zwölf
Runden angesetzt!«
34
Restaurant Scoozi, Samstag, 23. Mai,
19.30 Uhr
Ursprünglich wollte Niko Sandra am
Freitagabend von ihrem Friseursalon abholen. Als er am Nachmittag
feststellte, dass sich die Schulung der Außendienstmitarbeiter in
Duisburg deutlich länger hinziehen würde als geplant, rief er sie
an und bat schweren Herzens, das Treffen auf Samstagabend zu
verschieben.
Sie hatten sich in der Elberfelder
City im ›Scoozi‹ verabredet, um eine Kleinigkeit zu essen. Ihren
Vorschlag, ihn mit dem Wagen abzuholen, lehnte er dankend ab. Er
gehe lieber zu Fuß, weil er vorher auf dem Weg noch bei ›Saturn‹
reinschauen wolle.
So saß sie, ein paar Minuten vor der
vereinbarten Zeit, an einem kleinen Zweiertisch direkt am Fenster
und wartete auf Niko. Am Abend zuvor, als sie sich - mit einem Glas
Rotwein bewaffnet - in den Sessel gesetzt hatte, um den neusten
›Biss‹-Roman von Stephenie Meyer zu lesen, waren ihre Gedanken
immer wieder in Richtung Niko abgeschweift. Sie musste sich
eingestehen, das war mehr als ein Abenteuer. Sie hatte sich richtig
in ihn verliebt. Gefangen genommen von seiner Zärtlichkeit trotz
seiner Jugend und Jungenhaftigkeit spürte sie ein ständiges
Verlangen nach ihm. Tagsüber nahm sie es im Geschäft schon wahr und
abends steigerte es sich so sehr, dass sie sich auf nichts hatte
konzentrieren können. Die Geschäftskorrespondenz zu erledigen, wie
sie sich das so fest für einen der Abende vorgenommen hatte,
vertagte sie und der lange schon fällige Brief an ihre Schwester in
Oldenburg blieb ungeschrieben.
Plötzlich blickte sie hoch. Niko
stand vor ihr. »Na, wo bist du denn mit
deinen Gedanken?« fragte er, beugte sich zu ihr herab und küsste
sie auf die Stirn. »Äh, hallo Niko, ich war … ich war mit meinen
Gedanken noch im Geschäft«, schwindelte sie. »Es war heute wirklich
ein
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