Gabriel
Gabriel Black brachte sie völlig durcheinander. Er war hinreißend, draufgängerisch, und er küsste, als hätte er’s mit zehntausend Frauen geübt. Aber er war auch gut und anständig, und sie musste dem Inspector dankbar sein, weil er ihr das erzählt hatte. Aber ihre ganze Welt war aus den Fugen geraten. Und abgesehen von Gabriel und seinen Brüdern musste sie auch an andere Dinge denken.
Sollte sie nach Hause fliegen? Das Handtuch werfen? Eine Zeit lang bei Sophie in Pittsburgh wohnen? Sollte sie ihre geplante Karriere vergessen, auf den Doktortitel verzichten, nur weil sie gerade erfahren hatte, dass sie ein ›Sternenengel‹ war?
»Nein«, wisperte sie und fasste sich an die Stirn. So leicht gab sie sich nicht geschlagen. Sie liebte Schottland und seine Vergangenheit. Jahrelang hatte sie sich nach diesem Land gesehnt.
Auch schwebte sie in Gefahr. Irgendwo da draußen suchten die Adarianer nach ihr, und sie hatten sie schon einmal gefunden. Wenn sie in die USA zurückkehrte, würde sie ihnen wohl kaum entrinnen. Dort würden sie ihr genauso auf die Spur kommen wie hier. Und wenn sie bei Sophie wohnte, würde sie ihre beste Freundin gefährden.
Also würde sie in Schottland bleiben. Zumindest vorerst. Aber wenn sie hier ausharrte, ihre Forschungen betrieb und an ihrer Dissertation arbeitete, musste sie Sicherheitsvorkehrungen treffen. Vielleicht war es unklug, in diesem Cottage zu wohnen, an der entlegenen Küste von Luskentyre, ganz allein. Sie sollte anderswohin ziehen, wo sie von Menschen umgeben und geschützt wäre.
»Okay«, seufzte sie und warf ihre langen, dichten Locken zurück, »ich packe meine Sachen.«
Am späteren Nachmittag hatte sie ihre Reisetasche fertig gepackt. Sie trug immer noch die Burberry-Jacke. Im Cottage war es zwar warm genug, doch sie konnte sich nicht von der schönen Jacke trennen.
Als sich das Geräusch eines Motorrads näherte, legte sie den Kopf schräg und lauschte. Das Dröhnen verstummte nicht, wurde immer lauter. Offenbar bog der Fahrer in die Straße, die zu ihrem Cottage führte, ein.
Dann verhallte der Lärm, und Juliette erstarrte in der Stille. Da ist jemand. Adrenalin rauschte durch ihr Blut, ihr Herz raste. Atemlos wandte sie sich zum Fenster. Aber weil sie im Schlafzimmer stand, das im ersten Stock lag, sah sie nichts. Auf der bekiesten Zufahrt knirschten entschlossene, zielstrebige Schritte.
Juliettes Gedanken überschlugen sich. Im Cottage gab es keine Waffen. Darauf legten die Briten offensichtlich keinen Wert, nur Polizisten wie Angus Dougal bewaffneten sich. Ein waffenloses Königreich.
Jetzt erklangen Schritte von der Terrasse, und jemand klopfte an die Glastür. Juliettes Handflächen begannen zu schwitzen, und sie wischte sie an ihren Jeans ab. Ein Adarianer? Der Inspector nicht, der fuhr ein Auto. Lily auch nicht, die hatte keine Geräusche verursacht. Wahrscheinlich benutzte sie Magie, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.
Noch ein Klopfen, diesmal energischer. Wie lautete die Notrufnummer der Polizei in Schottland? Juliette hatte keine Ahnung. Weil ihr nichts anderes einfiel, ergriff sie ihr Handy und gab die Nummer, die Dougal ihr gegeben hatte, ein. Den Daumen über der Anruftaste, verließ sie das Schlafzimmer und schlich die Treppe hinab.
Auf der anderen Seite der Glastür wartete Gabriel Black, das lockige schwarze Haar vom Wind zerzaust. Er trug Motorradstiefel, schwarze Jeans und einen dicken schwarzen Pullover unter einer schwarzen Lederjacke. Hoch aufgerichtet stand er da, die Augen hinter einer spiegelnden Sonnenbrille verborgen.
Seine Gestalt, nur wenige Schritte entfernt, mit diesem verwuschelten Haar und halb in Leder, übte eine sonderbare Wirkung auf Juliette aus. Sie blieb im Wohnzimmer stehen. Wachsam beobachtete sie ihn. Ihr Sonnengeflecht wurde von einer plötzlichen Wärme durchströmt, die Knie wurden ihr weich. Nun hob Gabriel seine behandschuhte Hand. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte seine perfekt geformten Lippen, dann nahm er die Brille ab.
Wie Quecksilber, dachte sie. Sein Blick schien sie durch die Glastür hindurch festzunageln, sein Lächeln wurde breiter, und sie hörte sein leises, köstliches Gelächter. Ehe ihr bewusst wurde, was sie tat, ging sie zur Tür.
Nur einen Herzschlag lang zögerte sie, dann schob sie die Glastür beiseite. Gabriel lächelte sie immer noch an. Wie Diamanten funkelten seine Augen. »Guten Tag, meine Süße«, grüßte er gedehnt. »Darf ich eintreten?«
»Du bist
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