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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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Ich kannte die uralten Augen, die flache Nase, die runzlige Haut. Der Alte verzog den Mund zu einem Grinsen, sah mir in die aufgerissenen Augen. Seine Lippen bewegten sich, gaben einen Zahnstummel frei.
    »Mojo«, formte der welke Mund, lautlos.
    Und noch einmal: »Mojomojo.«
    Der Schrat bewegte die Finger seiner halb erhobenen Hand wie zu einem Winken, dann wandte er sich ab und schlappte den Flur hinunter. Mit Eimer und Feudel, den Kopf wieder in der Kapuze verborgen.
    Ich stolperte besinnungslos weiter zur Kontrolle. Wurde dort unfreundlich hin- und hergeschickt, wahrscheinlich weil ich so abwesend wirkte wie ein Selbstmordattentäter auf Drogen. Ich musste meine Taschen leeren und meine dschungeltauglichen Stiefel ausziehen, sie schienen beim Sicherheitspersonal ob ihrer offensichtlichen Deplatziertheit besonderen Verdacht zu erwecken. Was konnte man nicht alles in solchen Stiefeln verstecken! Ich ließ mich in einem Zustand der Trance an allen Stellen meines Körpers, die zum Waffenversteck geeignet waren, abtasten. Das lederne Gesicht des Alten stand mir die ganze Zeit vor Augen.
    Schließlich gab der Uniformierte mich mit muffigem Gesichtsausdruck frei, ohne mich anzusehen, wahrscheinlich enttäuscht über meine erwiesene Harmlosigkeit. Mein einziges Gepäck, Joseph Conrads »Heart of Darkness« und eine Plastiktüte mit einer Garnitur Wäsche, die ich mir am Flughafen gekauft hatte, rutschte anstandslos in einer Kunststoffschüssel durch den Scanner. Der Weg nach Berlin war frei.
    Das Flugzeug hob ab, so leicht und so schnell, als hätte es mein Bedürfnis gespürt, alles hinter mir zu lassen, was sich am Boden befand. Als die Maschine langsam nach links kippte und die Lichterkette der nächtlichen Küstenlinie in der linken Fensterreihe auftauchte, machte ich mir klar: Ich hatte den ganzen Kontinent durchquert, von Küste zu Küste. Nicht absichtlich, noch nicht einmal freiwillig, aber ich hatte.
    Vielleicht befand sich Sumire schon auf der Rückfahrt und rollte in ihrem hellblauen Lastwagen dort unten entlang, in ihrem Lastwagen, auf den jemand ein Gebet gesprüht hatte, nein, kein Gebet, eher eine Beschwörung. Vielleicht schlief sie auch gerade neben einer Tankstelle. Vielleicht hörte sie das Flugzeug vorbeifliegen und dachte an mich. Aber wahrscheinlich nicht.
    Das Flugzeug stieg weiter, neigte sich auf die andere Seite und begab sich auf seinen Kurs entlang der Küste. Unter meinem Fenster tauchten beleuchtete Strände auf, bunte Marinas, dicht gestaffelt liegende Segeljachten darin, angestrahlt von den erleuchteten Fronten großer Hotels. Rechtwinklige, helle Boulevards, von Palmen gesäumt, glänzende käferartige Autos schoben sich darauf entlang: Sansibar. San-si-bar.
    Noch mussten wir angeschnallt bleiben, wir waren noch nicht auf Reiseflughöhe angekommen. Der Passagier neben mir hatte sich seine Decke über den Kopf gehängt, um die Umgebung auszuschalten und zu schlafen. Aber ich war nicht müde. Ich wollte den Kilimandscharo sehen. Vielleicht würde ihn die aufgehende Sonne beleuchten, wenn ich Glück hatte, kam es hin. Mein Abschied von Afrika. Bis dahin könnte ich ja lesen.
    Ich knipste mein Leselicht an und nahm das ramponierte Penguin-Taschenbuch zur Hand, das »Herz der Finsternis«. Sah mir den Titel nochmals genauer an. Der Umschlag zeigte einen dunklen Fluss, eingerahmt von grünen Dschungelpflanzen. Im Hintergrund, wo es finster wurde, trieben sich schemenhafte Gestalten herum. Das Dunkle, das war wohl die Finsternis, und mittendrin, wo man nichts mehr erkennen konnte, musste dann das Zentrum liegen, das Herz der Finsternis eben. Das Umschlagbild erinnerte mich an eine Teedose, von der ich als Kind fasziniert gewesen war. Meine Mutter hatte immer die Weihnachtsplätzchen darin aufgehoben. Auf der Teedose war eine chinesische Dschunke abgebildet gewesen, die auf dem nächtlichen Meer lag. Sie besaß ein fremdartiges Segel mit vielen Stäben darin, und eine große Laterne hing vom Heck herunter. Man konnte auch ein paar Chinesen erkennen, die etwas an Deck machten, ich dachte damals, sie verstauen den Tee an Bord, bevor sie auf große Fahrt gehen, Richtung Hamburg oder Bremen. Auf der Teedose schien der Mond, er beschien Wolken vor dem dunklen Horizont, dahinter war es ebenfalls schwarz. Dort lag die Ferne, das Ungewisse, in das die Dschunke gleich aufbrechen würde, die Finsternis.
    Ich warf noch einen Blick auf den Einband, dann steckte ich das Buch wieder in das Netz vor mir und

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