Gaelen Foley - Amantea - 01
Finger, mit denen er die kompliziertesten Seemannsknoten knüpfen konnte. Voller Ehrfurcht beobachtete sie ihn dabei, wie er ein ganzes Königreich allein aus der Vorstellungskraft entstehen lassen konnte.
Allegra vermochte es sich nicht anders zu erklären, als dass er dafür geboren war und der klügste, einfallsreichste Mann sein musste, dem sie je begegnet war.
Sie selbst brachte auch Vorschläge für Amantea ein – wie zum Beispiel den Plan, Schulen für die Bauernkinder zu errichten, und ihre Ideen, wie die alten Leute besser unterstützt werden konnten.
Außerdem schlug sie vor, dass am Ort des Mordes an
der königlichen Familie ein Hain angelegt werden sollte, wobei für jedes Opfer ein Baum gepflanzt werden müsste.
Jedes Mal, wenn sie die Kraft verließ, feuerte Lazar er- neut ihre Begeisterung an, indem er ihr mit einem schalk- haften Funkeln in den Augen eine brillante Idee erklärte, die auf diesem oder jenem Konzept beruhte, das er auf den Reisen um den Erdball entdeckt hatte.
Eine Lösung für den Straßenausbau auf Amantea könnte aus den Niederlanden kommen, während eine Gesetzes- reform auf den Staatsgrundlagen des alten Roms beruhen könnte. Auch die Methode der Piraten, demokratisch einen Anführer zu wählen, kam immer wieder ins Spiel.
Eines Abends entwarf Lazar – mit der Hilfe des Vikars – eine Konstitution und ein Parlament, das auf dem eng- lischen Vorbild basierte. Es waren zwei Dinge, die Aman- tea bisher nicht gehabt hatte. Am nächsten Tag skizzierte er ein neues Belfort – eine moderne Stadt, die breite Stra- ßen und große öffentliche Gebäude aufweisen sollte. Lazar hatte vor, sie auf den Grundmauern des alten Belfort- schlosses zu errichten, weit oben im kühlen Hochland von Amantea.
An jenem Abend ging Lazar auch die Schwierigkeit unzureichender Häfen an. Er wollte Amanteas ausge- zeichnete natürliche Buchten dazu nutzen, sie mit Docks und Lagerhäusern auszustatten, um den Fischern bessere Möglichkeiten zu bieten.
So sollte eine wichtige Einnahmequelle des Landes wie- der belebt werden. Er entschloss sich auch, dass Amantea eine Universität, zumindest eine Militär– und Marineaka- demie, bekommen sollte. Wenn das nächste Mal irgend- welche Eindringlinge auftauchten, würden die Soldaten auf einen solchen Angriff besser vorbereitet sein.
Brachte Allegra schließlich Lazar dazu, sich kurz hin- zulegen, wachte er bereits gleich darauf mit neuen Ideen über die Reform des Steuersystems auf. Seine Finger wa- ren schwarz von Tinte, seine Sachen zerknittert. Doch als er ihr ein müdes Lächeln über den Tisch, an dem sie ar- beiteten, zuwarf, wusste sie, dass er seit dem Tod seiner Familie niemals so glücklich gewesen war.
Lazars Aufgabe änderte ihn sichtbar. Mit jeder Stunde, die verging und die er darauf verwandte, Amantea wieder zu seinem Land zu machen, schien er immer mehr die Rolle
des Piraten abzulegen und immer mehr in die des Prinzen zu schlüpfen.
Er verwandelte sich in einen jungen König, der sich darauf vorbereitete, aus seinem lange anhaltenden und ungerechtfertigten Exil zurückzukehren.
Auch der fehlende Schlaf und die geringe Nahrung, die er zu sich nahm, veränderten sein Äußeres. Er hatte vielleicht drei oder vier Pfund verloren, und sein Gesicht sah viel konzentrierter aus als vorher. Die leidenschaftlich funkelnden Augen kamen dabei noch besser zur Geltung.
Sein draufgängerischer Schritt verwandelte sich in ei- nen gesammelt wirkenden, würdevollen Gang. Es schien beinahe so, als ob alles, was nicht zu seiner Persönlichkeit gehört hatte, allmählich von ihm abfiel. Er glich einem edlen Schwert, das durch das Feuer des Schmieds seine wahre Schönheit erlangte.
Allegra bemerkte, dass auch die Männer spürten, wie sehr ihr Kapitän sich wandelte. Obgleich er noch im- mer nicht wollte, dass sie seine wahre Identität erfuh- ren, begannen die Piraten, sich ihm gegenüber anders zu verhalten.
Sie gehorchten den Befehlen mit mehr Schwung. Und wenn er sie zuvor mit einer Mischung aus ungebändig- ter Wildheit und Autorität geleitet hatte, so zeigte er sich nun gelassen, aber so bestimmt, dass niemand ihm zu widersprechen wagte.
Obwohl er nun den Siegelring besaß und somit zwei- felsfrei seine Identität beweisen konnte, war es Lazar klar, dass er noch immer Durchsetzungsvermögen und mögli- cherweise Gewalt einsetzen musste, um Genua dazu zu bringen, sich aus Amantea zurückzuziehen.
Er hoffte zwar, dass die einflussreichen
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