Gaelen Foley - Amantea - 01
sie nicht gegen einen Mann, der einen Fuß größer und zwei Mal so schwer wie sie war, ankämpfen.
Ihr war ein wenig übel und schwindlig, als sie daran dachte, was man mit Umberto machen würde, wenn man ihn fing. Vor allem, wenn sie ihr zerrissenes Kleid sahen, das zwar von Domenico so zugerichtet worden war, der es jedoch sicher auf den Fremden schieben würde.
Die Soldaten würden sein ganzes Dorf in Brand stecken und zweifelsohne das mit den Bauernmädchen tun, was er scheinbar mit ihr getan hatte. Daraufhin würden die Männer des Dorfes eine Garnison in die Luft sprengen oder die Soldaten in eine Falle locken, um sie dann auf die schrecklichste Weise zu foltern.
Vergeltung würde auf Vergeltung und wieder auf Ver- geltung folgen, eine Vendetta würde die nächste nach sich ziehen, und es würde immer so weitergehen.
Allegra konnte nicht verstehen, wie ein katholisches Land, das Amantea ja war, statt zu vergeben und die an- dere Wange hinzuhalten, die mittelalterliche Tradition der Vendetta pflegte, die ganz Italien wie ein aus dem Fieber geborener Wahnsinn im Griff hatte.
Vor allem die Inseln Sizilien, Korsika und Amantea lit- ten besonders schwer darunter. Obgleich König Alphonso geradezu wie ein Gott verehrt wurde, schien sich niemand daran zu erinnern oder sich darum zu kümmern, dass er vor zwanzig Jahren bereits ein Gesetz gegen diese Art der Rache erlassen hatte.
Allegra sah zum Palazzo und stellte fest, dass die Fens- ter noch alle erhellt waren. Sie fragte sich, was ihr Vater wohl zu alldem zu sagen hatte. Sie war sich nur sicher, dass er die Nachricht von ihrer Entführung nicht unter seinen Gästen verbreiten lassen würde.
Domenico war inzwischen wahrscheinlich entdeckt und zu einem Arzt gebracht worden. Vermutlich hatte er dem Gouverneur eine ganze Reihe von Lügen über das Vorgefal- lene erzählt, so dass schließlich sein Verhalten als tadellos betrachtet wurde und er zu seiner Mätresse zurückwanken konnte.
In der Nähe der Stadttürme drehte sich der Rebell zu ihr um und betrachtete sie einen Moment stumm. In seinen
dunklen Augen lag ein seltsam schmerzlicher Ausdruck. Er sah sie so lange an, dass sie schon dachte, er würde seinen schönen Mund auf ihren pressen und sie küssen.
Stattdessen zog er sie in die Arme und drehte sie sanft so herum, dass ihr Rücken gegen seine Brust gedrückt war. Dann legte er den linken Arm um ihren Bauch. Sie tat nichts, um sich dagegen zu wehren.
„Allegra“, murmelte er, und sie zitterte beim Klang sei- ner rauen, tiefen Stimme. Sie schloss die Augen, als er mit den Fingern leicht über ihren Nacken strich und das Haar, das ihr herabgefallen war, über ihre Schulter legte. Die Liebkosung ließ sie einen Moment so schwach wer- den, dass sie sich an ihren Entführer lehnte, um nicht ihr Gleichgewicht zu verlieren.
Als sie das tat, hielt er inne. Sie spürte, wie sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte.
„Tut Ihnen Ihr Knöchel noch immer weh?“
„Nur ein wenig“, flüsterte sie atemlos.
Er verhielt sich zuerst sehr still, dann fuhr er fort, sie zu liebkosen. Ihr ganzes Bewusstsein schien sich auf jenen Punkt zu konzentrieren, wo seine Fingerspitzen ihren Hals genau unter ihrem Ohr berührten. Dann strich er leicht über ihre Schulter.
Ihre Haut fühlte sich seidenweich an.
Allegra zitterte und spürte, wie auch sein Herz rascher zu schlagen begann. Sie sehnte sich danach, seinen wirklichen Namen zu erfahren.
Er fuhr mit den Fingern über ihre Arme, bis er zu ihrem Handgelenk gelangte. Als er einen Moment seine Hand in die ihre legte, drückte sie leicht zu.
„Allegra“, stieß er hervor. „Es tut mir so Leid, was ich tun muss.“
„Es ist schon gut“, flüsterte sie. Sie hatte die Augen ge- schlossen und den Kopf an seine muskulöse Brust gelegt, während sie sich dem Zauber seiner Berührungen überließ. Er entzog ihr die Finger und ließ sie ihren Arm entlang nach oben gleiten.
Sie genoss noch immer das Gefühl, an ihn gelehnt zu sein, als sie auf einmal ein leises metallisches Klicken hörte. Allegra öffnete die Augen gerade, als der Fremde den sil- bernen Lauf einer Pistole an ihre Schläfe legte. Es war so sanft wie ein Kuss.
Sie erstarrte in seinen Armen. „Was tun Sie da? O mein Gott.“
„Regen Sie sich nicht auf, chérie“, sagte er, als er sie zu der gut einsehbaren Stelle vor der Turmtür führte. „Ver- halten Sie sich nur ruhig, und tun Sie, was ich sage. Dann wird Ihnen nichts Unangenehmes
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