Gaelen Foley - Amantea - 01
kau- erte sich zusammen. Ängstlich versuchte sie, sich noch mehr zusammenzukauern. Ratten schienen ihr noch immer besser als Goliath zu sein.
Ihre Ohren dröhnten von dem stundenlangen Kanonen- feuer, das über ihrem Kopf donnerte, aber es kam ihr nun so vor, als riefe eine zornige Stimme von weiter Ferne ih- ren Namen. Sie glaubte nicht, dass sie dem Hünen ihren Vornamen genannt hatte. Aber das war nun gleichgültig, als sie hörte, wie die Türen den ganzen Gang entlang laut zugeschlagen wurden.
Plötzlich wurde die Tür zum Lagerraum aufgerissen. Ihr stockte der Atem.
„Allegra!“
Da bemerkte sie, dass der Saum ihres Kleids über den Rand des Bretts hing. Sie riss ihn zurück. Erschrocken be- deckte sie den Mund mit den Händen, um den Aufschrei zu unterdrücken. Es war zunächst still, dann erklangen langsame Schritte. Ihr blieb vor Angst fast das Herz stehen, und ein winziger Ton kam ihr über die Lippen.
Der Mann, der ihretwegen gekommen war, beugte sich langsam zu ihr hinunter. Sie sah seine schwarzen Augen. Sanft blickte er sie an, und sie schaute zu ihm hoch, ohne sich zu rühren.
„O Allegra“, sagte er traurig. Lazar streckte ihr die Hand hin. „Komm heraus. Es wird dir nichts geschehen, chérie. Komm heraus“, lockte er sie.
Der zärtliche Klang seiner Stimme ließ Allegra endgültig die Beherrschung verlieren. Sie hatte keine Kraft mehr und keinen Mut. Ohne sich zurückhalten zu können, begann sie hemmungslos zu weinen.
Lazar zog sie aus der Ecke, in der sie gekauert hatte, und hob sie in seine Arme. Sie schluchzte an seiner Schulter, an die sie sich wie an einen Felsen im wild tosenden Meer klammerte. Er legte ihr die Hand an den Hinterkopf und drückte sie an sich.
Allegra atmete den Geruch von ihm ein, während sie ihren Tränen freien Lauf ließ – Rum und Schweiß, Rauch und Leder, Schießpulver, Blut und Meerwasser. Sie sehnte sich danach, wieder in ihrer Klosterschule zu sein, wo sie um neun Uhr im Bett zu sein hatte und Oberin Beatrice die Kerzen ausblies. Sie wollte sich von diesem Mann be- freien, doch sie vermochte es nicht. Es war bereits zu spät. Sie fühlte sich geborgen in seinen Armen und beschützt.
„Still, meine Kleine“, sagte er leise, als er langsam den düsteren Schiffsgang auf– und ab schritt und sie sanft wiegte. Dabei flüsterte er ihr leise zärtliche Worte ins Ohr. „Allegra, es ist alles wieder gut. Ich habe dich“, flüsterte er, und sie wusste, dass er Recht hatte. Jetzt hatte er sie.
Sie war seine Gefangene.
Obgleich sie die Augen geschlossen hielt, bemerkte sie bei dem hellen Licht, das durch ihre Lider drang, dass sie sich nun im Sonnenschein befanden. Er musste die Stu- fen hochgeklettert sein, ohne dass sie es bemerkt hatte. Er war so stark. Zu stark. Sie barg das Gesicht an seiner Schulter.
„Hier sind wir, mein mutiges Mädchen“, meinte er. „Ich möchte nun genau wissen, was geschehen ist, damit ich entscheiden kann, wie schmerzhaft Goliaths Tod sein soll.“
Sie schüttelte den Kopf, sah Lazar aber nicht an. Nicht noch ein weiterer Toter.
„Allegra.“ Er hielt inne. Seine Stimme klang scharf. „Hat er dir Gewalt angetan?“
Sie schüttelte erneut den Kopf und weigerte sich, etwas zu sagen.
„Hat er dich geschlagen?“
Sie nickte.
„Ins Gesicht?“
Sie öffnete die Lippen und erwiderte: „In den Magen geboxt.“
„Tut es noch sehr weh?“
Nein. Sie schmiegte sich noch fester an Lazar. Sie wollte weder die Augen öffnen noch den Griff ihrer Arme lockern, die sie ihm um den Nacken gelegt hatte. „Ich hasse dich zwar, aber bitte setz mich noch nicht ab.“
Er lachte traurig und drückte sie sanft an sich.
Sie spürte, wie sich sein Schritt änderte, während er mit ihr auf den Armen weiterging. Dann vernahm sie ein Knarren und fühlte, dass sie wieder in den Schatten ge- treten waren. Als er sprach, klang seine Stimme tief und sehr zärtlich.
„Du kannst jetzt die Augen aufmachen, mein Engel. Du bist in meiner Kajüte, auf meinem Schiff. Hier bist du sicher. Mein Freund wird sich um dich kümmern, bis ich zurückkehre – John Southwell aus England. Er ist ein Gentleman und war früher ein anglikanischer Priester. Nenn ihn einfach Vikar, jeder nennt ihn so. Ich vertraue ihm so, wie ich mir selbst vertraue, capisce?“
Allegra hielt noch immer die Augen geschlossen und klammerte sich an ihn.
„O Lazar“, flüsterte sie, wobei ihre Stimme so klang, als würde sie gleich wieder weinen. „Bitte verlass mich nicht
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