Gaelen Foley - Amantea - 01
Schrittes von ihr zurück, riss sich das Tuch vom Kopf und wischte sich mit einer heftigen Handbewe- gung den Schweiß von der Stirn. Erneut starrte er sie aus glühenden Augen an. „Ich habe dir bereits genug Zuge- ständnisse gemacht. Sie werden sterben.“ Er breitete die Arme aus, als wollte er auf sarkastische Weise verdeutli-
chen, dass er sich seiner Tat durchaus bewusst war. „Mea culpa.“
Allegra rührte sich nicht und sprach auch kein Wort. Sie schaute ihn nur an, bleich und erschüttert. Der Wind und die Morgensonne spielten mit ihrem langen Haar, während sie mit ihren dunklen Augen die seinen zu ergründen ver- suchte. Sie sah auf einmal erschöpft und beunruhigend gelassen aus.
„Dann muss ich ebenfalls meine Wahl treffen.“ Auf unsicheren Beinen schwankte sie zu ihrem Vater.
Lazar sank in sich zusammen und schaute in den Him- mel. Obgleich er verzweifelt aufstöhnte, hielt er sie nicht zurück.
Sie stellte sich neben den Gouverneur, während sich die anderen Verwandten erneut hinknieten. Allegra hob ihr Kinn und schien durch ihre Entscheidung Kraft gewonnen zu haben. Sie streckte die Hände aus. Die Handflächen hielt sie nach oben, wie die Figuren der Madonna, die in steinernen Grotten auf der ganzen Insel zu finden waren.
„Los, Kapitän. Tun Sie Ihre Pflicht.“
Er starrte sie an, und sie erwiderte unerschrocken seinen Blick. Es traf ihn wie ein Keulenhieb, dass sie bei ihrer Familie bleiben und mit ihr sterben wollte. Er jedoch, der Sohn eines Helden, war geflohen und hatte überlebt, um ein Fluch für all jene zu werden, die sich ihm in den Weg stellten – sogar ein Fluch für sich selbst.
Lazar sah sie an und wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte seinen Blick nicht von ihr reißen. Sie zwang ihn dazu, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Die Geister in seinem Kopf verlangten weiterhin nach Rache. Doch zum ersten Mal verstand er, dass er nicht um ihretwillen hier war.
Nein, der Mörder in ihm verlangte nach Vergeltung – das rächende Ungeheuer, das aus der Asche des vernichte- ten Prinzen aufgestiegen war. Es schien ihm, als wäre die Wunde, die ihm damals beigebracht worden war, so tief gewesen, dass sie nicht mehr heilen konnte. Tod konnte nur mit Tod gesühnt werden.
Doch wenn es vorüber war – was in Gottes Namen würde dann von ihm übrig bleiben?
Es gab keinen Bauernhof, wie er sich das manchmal er- träumt hatte, keine Kornfelder, keinen selbst gemachten
Wein. Das würde niemals der Fall sein. Und nun wusste er, warum. Wenn er das hier vollbracht und seine Männer sicher in die Karibik zurückgeführt hatte, wollte er es tun. In seinem Schreibtisch hob er eine silberne Kugel auf, die er dann benutzen wollte.
Der Wind zerrte an seinen Kleidern. Niemand hatte die Macht, ihn jetzt noch aufzuhalten. Das Einzige, was er tun musste, war, den Befehl zu erteilen.
Gequält blickte er auf Allegra. Ihre Gelassenheit er- schütterte ihn.
Anklagend sah sie ihn an, doch er erkannte in ihrem Blick auch, dass sie ihm vergeben würde. Dies ließ ihn auf einmal menschlicher werden. Er war kein Racheen- gel mehr, sondern nur noch ein Mann, der einen Kampf mit sich austrug. Ein hilfloser Mann, der sich nicht gegen den vertrauensvollen Blick der braunen Augen und diese zitternden rosenfarbenen Lippen wehren konnte.
Die Welt um ihn her schien ins Wanken zu geraten. Etwas in ihm erhob sich, eine Flut von Empfindungen, denen er nicht Einhalt zu gebieten vermochte. Sie waren unerträg- licher als Gefühle der Scham. Ja, er würde in tiefer Trauer versinken. Und niemand würde ihn trösten können. Alle, die er jemals geliebt hatte, waren tot, und er würde stets allein bleiben. Das wusste er.
„Lazar“, rief Allegra leise.
Er sah sie an. Der Ton ihrer Stimme gab ihm Kraft. Sie schaute ihm mit einer Ruhe in die Augen, die auch ihn beruhigte – mit einer Stärke, die ihn erstarken ließ.
Er holte Atem.
Dann schaute er weder nach links noch nach rechts. Seine Männer wollte er nicht sehen, denn sie würden ihn nur an das Ungeheuer erinnern, in das er sich verwandelt hatte. Er wollte nicht mehr überlegen, sondern blickte nur Allegra an, öffnete ihr in stummer Zwiesprache seine ge- schundene Seele. Für ihn war Allegra wie ein Stern über einer tosenden See. Dann sprach er mit einer Stimme, die wie ein ersticktes Flüstern klang.
„Lasst sie gehen.“
7. KAPITEL
Seine Männer blickten einander unsicher an, aber Lazar schaute nur auf Allegra. Ihre Verwandten begannen, sich zu
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