Gaelen Foley - Amantea - 01
grämen. Der Pira- tenkapitän, der sie entführt habe, sei zwar ein verruchter Mann, aber er würde ihr keine Gewalt antun. So schrieb sie. Er konnte sogar höflich sein, wenn er sich bemühte.
Sie berichtete nichts davon, wie wundervoll er küsste oder wie zärtlich er sie schon berührt hatte.
Als Nächstes schrieb sie an die Vorsteherinnen der Häu- ser für alte Leute und für Waisen, die sie unterstützte. Sie
wies diese an, ohne sie fortzufahren, bis ein Weg für ihre Rückkehr gefunden worden sei. Sie notierte genau, wer was benötigte, welche Häuser mit welchem Essen versorgt und welche Kinder zu Hause besucht werden mussten.
Da gab es zum Beispiel den kleinen Tomas, dessen Vater ein Schläger war, oder ihren Liebling, die kleine blinde Constanzia. Sie wollte auch wissen, wie es den DiRo- sas erging, nachdem ihre Scheune in Flammen gestanden hatte.
Auf einmal wurde Allegra bewusst, wie viel sie tatsäch- lich auf Amantea gemacht hatte. Das war ein weiterer Grund, den Teufel von Antigua zu hassen. Denn er hatte sie von den Leuten, die sich auf sie verlassen hatten, wegge- rissen. Allegra bezweifelte sogar, dass sie eine Gelegenheit bekam, diese Briefe abzuschicken, aber zumindest war sie nun darauf vorbereitet.
Sie nahm sich viel Zeit mit ihrer Toilette. Schließlich musste sie heute zu dem Essen erscheinen, wie das der Kapitän angeordnet hatte. Es war zwar sinnlos, sich so für eine Mahlzeit herzurichten, die zweifelsohne aus Ap- felwein und Schiffszwieback bestand, aber das Ritual des Ankleidens war ein so wichtiger Bestandteil ihres früheren Lebens gewesen, dass es ihr das Gefühl vermittelte, noch etwas davon aufrechterhalten zu haben.
Sie wählte ein pfirsichfarbenes Satinkleid. Noch immer war sie über die Tatsache erstaunt, dass Lazar all ihre persönlichen Dinge auf sein Schiff hatte bringen lassen. Er hatte sich von seiner rücksichtsvollen und feinfühligen Seite gezeigt.
Auf dem mittleren Deck war ein ganzer Lagerraum mit ihren Kleidern gefüllt, die von seinen groben Männern eilig und ohne Sorgfalt hineingestopft worden waren. Am meis- ten freute sie sich über unersetzbare Erinnerungsstücke – wie die Miniaturporträts ihrer Familie und die Juwelen ihrer Mutter.
Allegra stand vor dem Waschtisch in Lazars Kajüte und bürstete sich das Haar, während sie über seine Worte nach- dachte. Der bloße Gedanke an seine geflüsterte Bitte ließ sie am ganzen Körper erbeben.
Liebe mich.
Was für eine unmögliche Aufforderung! Nur er konnte so etwas sagen.
Natürlich hatte er es nur im körperlichen Sinn gemeint. Das war ihr klar. Ein skrupelloser Halunke bat sie um Befriedigung seiner Lust.
Ein verschollener Prinz, flüsterte eine innere Stimme, der dich darum bittet, ihm den Weg nach Hause zu zeigen.
Allegra beachtete sie nicht, sondern konzentrierte sich darauf, ihr Haar mit den topasbesetzten Elfenbeinkämmen hochzustecken. Leise sang sie dabei ein altes amanteani- sches Volkslied. Sie hatte eine einfache Frisur gewählt, da sie keine solche Haarkünstlerin wie ihre Pariser Kammer- zofe Josefina war.
Sich ein so voluminöses Kleid ohne die Hilfe eines Mäd- chens anzuziehen war nicht einfach. Schließlich hatte sie es geschafft, ihr Mieder vorn zusammenzuschnüren und ihren cremefarbenen Unterrock so zurechtzuzupfen, dass er hübsch zwischen dem Gewand, das vorn offen war, hervorsah.
Anmutig ging sie durch die Kajüte und drehte sich so- gar ein wenig. Sie war froh, sich wieder wie eine Frau zu fühlen. Doch als sie einen Blick auf ihre Taschenuhr warf, stellte sie fest, dass sie noch eine ganze Stunde zu warten hatte.
Allegra seufzte laut auf und schritt unruhig durchs Zimmer.
Wie langweilig doch das Leben auf dem Meer war! Wie konnte es ein Mann der Tat, wie es der Kapitän war, er- tragen? Kein Wunder, dass er unglücklich war. Er nutzte sein Leben nicht und vergeudete seine Fähigkeiten.
Ein Mann wie er – stark, klug, mutig – konnte doch alles erfolgreich erledigen, wenn er sich nur darum bemühte. Er wäre imstande, die Welt zu verbessern, wenn er nur seine ganze Kraft dafür einsetzte ...
Aber die Männer waren so töricht. Rasch verdrängte Allegra die Erinnerung an ihren Vater.
Anscheinend machte es dem Kapitän Spaß, immer wie- der in Schwierigkeiten zu geraten. Aber warum wählte jemand freiwillig ein verbrecherisches Leben, in dem al- les Anständige und Aufrichtige verleugnet wurde? Wes- halb hatte er nicht etwas Sinnvolles aus seinem Leben gemacht?
Für
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