Gaelen Foley - Amantea - 01
hatte bestechen lassen, Geld beiseite geschafft und Dutzende von angeblichen Rebellen ins Gefängnis gesteckt oder auf Grund lückenhafter Beweise hingerichtet hatte.
Diese Entdeckungen unterstützten Lazars Behauptung, ihr Vater hätte König Alphonso betrogen, um sich zu be- reichern und sich eine hohe Stellung zu verschaffen. Es sah so aus, als hätte er wirklich Mörder gedungen, um die blutige Aufgabe zu bewerkstelligen.
Es waren Männer, die er später für das Verbrechen, für das er sie bezahlt hatte, hängen ließ. Wenn man es in diesem Licht betrachtete, sah Vaters Selbstmord wie ein Schuldgeständnis aus.
Doch wie konnte sie sich dazu bringen, diese Erkenntnis in ihrem ganzen Ausmaß zu verstehen? Und wie sollte sie die Tatsache akzeptieren, dass ihr wilder Piratenkapitän der wahre verschollene Prinz der Fiori war?
Verschollen ist er und verloren, dachte sie und seufzte erneut. Sie schob die schwere Holzkiste auf das unterste Regal zurück, streckte sich und ging an Deck, um frische Luft zu schnappen.
Es war ziemlich windig. Die untergehende Sonne tauchte die elfenbeinfarbenen Segel in orangefarbenes Licht. Allegra warf einen Blick auf das Achterdeck und dann zum Steuerrad.
Der Kapitän war nirgendwo zu entdecken. Seit ihrem Streit am Morgen hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Wahr- scheinlich war er irgendwo unter Deck und bereitete sich auf die Nachtwache vor.
Der Vikar las unter der mit Leintuch überdachten Stelle einem halben Dutzend Männern laut aus der Bibel vor. Al- legra ging zu ihnen und hörte scheu lächelnd zu. Die Leute machten ihr Platz und bemühten sich sehr um Höflichkeit ihr gegenüber.
Während der Vikar über die Liebe aus dem Johannes- Evangelium vorlas, schweiften Allegras Gedanken ab. Sie glaubte ziemlich sicher zu wissen, warum Lazar nicht mehr die Nächte mit ihr im Bett verbrachte. Obgleich sie seine Ritterlichkeit zu schätzen wusste, stellte sie doch fest, dass
die Weite des Meeres ihr ärger zusetzte, wenn er sie allein ließ.
Seltsamerweise vermisste sie seinen warmen Körper ne- ben sich und sein tiefes, ruhiges Atmen. Nachts war die Einsamkeit auf der See besonders stark zu spüren, und das Knarren des Schiffs klang oftmals wie das Stöhnen gefangener Geister.
Nach einiger Zeit wünschte sie dem Vikar und den an- deren Männern eine gute Nacht und machte sich, tief in Gedanken versunken, auf den Weg nach unten. Da sie noch Hunger verspürte, ging sie zuerst zur Kombüse.
Emilio kochte an diesem Abend nicht. Deshalb suchte sich Allegra selbst etwas Leichtes zum Essen. Sie tat Obst in eine kleine Schüssel und hielt auf dem Weg zurück in die Kajüte fortwährend nach Lazar Ausschau – jedoch vergeblich.
Sie schaute sogar im Mannschaftsraum vorbei, sah sich bei den Kanonen um, da ihr Mr. Harcourt mitgeteilt hatte, dass sie vielleicht auf Feinde stoßen würden, sobald sie durch die Enge von Gibraltar segelten. Doch ihre Suche blieb ohne Erfolg.
Sie trat in den großen Raum, während sie hungrig einen saftigen Pfirsich aß. Als sie an die Tür zu Lazars Kajüte klopfte, antwortete niemand. Sie ging hinein und stellte fest, dass der Kapitän tief schlafend auf dem äußersten Rand des Bettes lag.
Sie vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken. Leise schloss sie die Tür hinter sich. Da fiel ihr Blick auf die leere Sherryflasche. Missbilligend runzelte sie die Stirn, stellte die Schüssel mit Obst samt dem Pfirsichstein auf den Schreibtisch und ging zur Balkontür, um sie zu öffnen.
Außerdem machte sie auch ein paar Luken auf, da sie hoffte, Lazar durch die kühle Nachtluft wieder zur Besin- nung zu bringen. Sie schaute ihn in seiner Koje an, wo er sie am Tag zuvor in das eingeführt hatte, was Mutter Obe- rin Beatrice als Verführung zur Fleischeslust bezeichnet hätte.
Mit einem Arm hielt er das Kissen an sich gepresst. Sein Gesicht war ihr zugewandt, und er schien friedlich zu schlafen.
Sein Anblick berührte sie schmerzlich, obgleich er ihr auch den Atem verschlug. Seine männliche Schönheit, die
Erschöpfung und Verletzlichkeit, die sein Gesicht aus- drückte. Dieser Mann würde niemals jemand absichtlich wehtun, dachte Allegra. Er war ein guter Mensch, obwohl er sehr hart sein konnte. Wenn er um sich schlug, dann nur, weil er schrecklich litt.
Lieber Jonah, dachte sie mit einem traurigen, liebevollen Lächeln, wach auf! Deine Bestimmung wartet irgendwo auf dich.
Lazar schlief weiter.
Sie ging zu ihrer Schüssel mit Obst und wagte sich dann zum
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