Gaelen Foley - Knight 02
stand an der Balustrade und sah auf den nächtlichen Green Park hinaus, während ihm der Nachtwind durchs Haar strich. Er vermeinte, in den Schatten eine Bewegung wahrzunehmen, zuckte dann jedoch mit den Schultern, viel zu sehr damit beschäftigt, über Alice nachzugrübeln. Er nahm einen Schluck Brandy und schaute dann zu Damien, der Zigarre rauchend auf der Terrasse saß.
Lucien betrachtete seinen Bruder halb feindselig, unsi- cher, wie er weiter vorgehen sollte. Auf die eine oder andere Art wollte er seinem Bruder sagen, dass er die Finger von Alice lassen sollte, aber er musste die Sache vorsichtig ange- hen. Alice hatte behauptet, dass Damien Bescheid wusste. Das konnte Lucien sich nicht vorstellen. Auch wenn sie ihm nicht geglaubt hatte – er hatte seinem Bruder nichts erzählt. Wenn Damien tatsächlich Bescheid wusste, dann hatte er sich Alice nur genähert, um sich wegen der Sache mit Caro an seinem Bruder zu rächen, das war ihm klar. So musste es sein. Der Gedanke erfüllte ihn mit Trauer und einem Gefühl eifersüchtiger, brennender Machtlosigkeit. All die jungen Draufgänger, die sich um sie geschart hatten, waren schon schlimm genug gewesen, aber falls es Damien wirklich ernst mit Alice war, konnte Lucien sich genauso gut aufhängen. Sicher war ihr klar, dass es keinen besseren Weg gab, sich an ihm zu rächen, als Damiens Avancen zu akzeptieren. Wenn sie ihm wehtun wollte – und daraus könnte er ihr nicht mal einen Vorwurf machen – , hielt sie in ihren zarten Hän- den bereits die beste Waffe.
„Ich hoffe, du hast den Abend genossen“, meinte Damien spöttisch.
Lucien drehte sich zu ihm um, als Damien gerade recht zu- frieden mit sich den Rauch ausstieß.
„Du hast heute Abend ja tatsächlich mal einen Tanz ge- wagt“, sagte Lucien lässig, seine Verärgerung verbergend.
„Konnte nicht widerstehen“, antwortete er. „Hast du das Mädchen gesehen? Wunderschön.“
„Ja“, stimmte er mit zusammengebissenen Zähnen zu. Er spürte, wie er vor Ärger rot wurde.
„Wie geht es Caro?“ erkundigte sich Damien unschuldig. „Ich glaube fast, dass es zwischen euch aus ist, weil sie über- all mit diesem preußischen Affen herumzieht.“
„Caro? Die ist mir vollkommen egal“, erwiderte Lucien in warnendem Ton.
„Wie jede Frau, was, Bruderherz?“ Damien stand auf und schlenderte zu ihm hinüber. „Dir sind überhaupt alle Leute egal, stimmts? Außer dir selbst natürlich.“
Arrogant zog Lucien die Brauen hoch. Das konnte er nun wirklich nicht gebrauchen.
„Du hast etwas Schreckliches getan“, begann Damien.
Seine Stimme war kaum lauter als der Nachtwind, doch es lag ein stählerner Unterton darin. „Nichts, was du dir bisher geleistet hast, reicht an das unehrenhafte Verhalten heran, das du diesem Mädchen gegenüber an den Tag legst. Du hast eine junge Frau von vornehmer Geburt verführt und sie dann fallen lassen, als wäre sie eine Hure. Ich schäme mich für dich.“
„Woher weißt du das?“
Damien starrte ihn an. „Ist das alles, was du zu sagen hast? Wie ich es herausgefunden habe? Caro hat es mir erzählt, wenn du es unbedingt wissen willst. Sie hat mich eines Abends besucht, um sich mir noch einmal an den Hals zu werfen, und als ich sie bat zu gehen, erzählte sie mir von dir und Miss Montague. Sie schrie mir ins Gesicht, was für Schufte wir Knight-Brüder doch seien.“
„Typisch Caro.“
„Lucien, was hast du dir dabei nur gedacht? Miss Monta- gue ist die Tochter eines Barons, von vornehmer Geburt. Mit deiner schamlosen Unmoral hast du nicht nur über sie Schande gebracht, sondern auch über dich selbst und unse- re gesamte Familie.“
„Damien.“ Er seufzte und rieb sich die Nasenwurzel, um Geduld ringend.
„Wie du damit leben willst, ist deine Sache, aber lass dir gesagt sein, dass ich mich um diese Situation kümmern wer- de. Wie üblich bleibt es mir überlassen, das Chaos, das du angerichtet hast, zu beseitigen.“
Er hielt inne. „Du willst dich darum kümmern?“
„Ich werde Miss Montague morgen besuchen“, erklärte Damien grimmig entschlossen, „und sie bitten, mich zu hei- raten.“
Lucien starrte ihn an, erschüttert bis ins Mark, und dann überkam ihn lodernder Zorn. „Wag es ja nicht!“ zischte er.
„Dann tu du, was die Ehre erfordert.“
„Ich kann nicht“, schrie er beinahe.
„Nun, ich schon“, entgegnete Damien, schob ihn zur Seite und ging ins Haus.
Wie gelähmt stand Lucien da, alles drehte sich um ihn, und sein Herz
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