Gaelen Foley - Knight 02
dass sich die Bäume kahl und schwarz in den bleigrauen Himmel reckten.
Nellie war zum schlammigen Ufer des Sees „Die Serpenti- ne“ gegangen, ein Nähkörbchen über dem Arm. Alice wuss- te, dass ihre Zofe sich wegen ihrer düsteren Verschlossenheit Sorgen machte, aber sie konnte auch nicht das geringste Fit- zelchen Fröhlichkeit aufbringen. Sie saß nur brütend da und
zeichnete Bäume, wobei sich ihre Hand ganz automatisch zu bewegen schien, hier ein Detail, dort eine Schattierung. Plötzlich schreckte sie dumpfes Hufgeklapper auf.
Sie schaute hoch und stöhnte leise auf, als sie den großen, beeindruckenden, wohl vertrauten Reiter erblickte, der da auf einem großen Schimmel auf sie zukam. Ihr Herz tat einen Satz, und sie setzte sich gerader hin, doch als er dann näher kam, entdeckte sie die scharlachrote Uniform unter dem Mantel. Voll Spott über ihre Mitleid erregende Hoffnung sank sie wieder in sich zusammen.
Es war der andere. Himmel, hatte sie ihm letzte Nacht denn nicht deutlich genug zu verstehen gegeben, dass sie sei- ne Annäherungsversuche nicht begrüßte?
Damien zügelte das Pferd, nahm den Tschako ab und be- grüßte sie mit einem knappen Nicken. „Miss Montague. Har- rys Kinderfrau teilte mir mit, dass ich Sie hier antreffen würde.“
Sie seufzte, während er behände aus dem Sattel sprang und auf sie zuging, etwas zögernder, als er ihren ausdrucks- losen Blick bemerkte. Er sah Lucien so ähnlich, dass sein Anblick ihr einen schmerzhaften Stich versetzte.
„Mir ist klar, dass Sie nicht mit mir reden möchten, aber Sie müssen mich anhören“, sagte er.
„Muss ich das?“ fragte sie sarkastisch. Wieder ein Mann, der es gewohnt war, dass man ihm widerspruchslos gehorch- te. Als sie den herrischen Ton vernahm, gesellte sich Nellie zu ihnen und stellte sich schützend neben sie. Alice nickte ihr zu. „Ist schon gut.“
Kummervoll trat Nellie ein paar Schritte zurück, blieb aber in der Nähe, um den Anstand zu wahren.
„Also schön“, seufzte Alice und wies neben sich auf die Bank. „Sie dürfen sich zu mir setzen.“
Der Colonel ließ sich neben ihr nieder und musterte sie durchdringend.
Sein Gesicht mochte wettergegerbt und hart sein, doch sei- ne Augen waren die traurigsten, die sie je gesehen hatte.
„Miss Montague, ich will gleich auf den Punkt kommen.“ Nein, dachte sie ironisch, das ist bestimmt nicht Lucien.
„Ich bin mir des unverzeihlichen Verhaltens bewusst, das mein Bruder Ihnen gegenüber gezeigt hat. Ich weiß, was ge- schehen ist, und ich weiß auch, dass Sie nichts für das kön-
nen, was Ihnen zugestoßen ist. Es ist einzig und allein seine Schuld. Er hätte es besser wissen müssen.“ Voller unter- drücktem Zorn schüttelte er den Kopf. „Als Caro es mir er- zählt hat ...“
„Caro hat es Ihnen erzählt?“ unterbrach sie ihn.
„Ja.“
„Oh.“ Überrascht erkannte sie, dass Lucien ihr die Wahr- heit gesagt hatte. Er hatte nicht mit seiner Eroberung ge- prahlt.
„Ich kann mir nicht helfen, ich fühle mich zum Teil mit verantwortlich für das, was mein Bruder getan hat.“
„Aber nein, Mylord“, murmelte sie und dachte an Mr. Whitbys Bemerkung, dass Damien sich vor Jahren zum Be- schützer seines Bruders aufgeschwungen hatte.
„Trotzdem, ich möchte dafür sorgen, dass Ihnen nichts mehr zustößt“, meinte er nüchtern. „Ich werde meinem Bru- der nicht gestatten, unseren Namen oder Sie zu entehren. Der Grund, weshalb ich Sie sehen wollte, ist, äh ...“ Er räus- perte sich, und dann prasselten seine Worte wie ein veritab- ler Kavallerieangriff auf sie hernieder. „Ich bin hier, um Ih- nen den Schutz meines Namens anzubieten. Ich möchte Sie zu meiner Frau machen, wenn Sie mich wollen. Nach allem, was mein Bruder Ihnen angetan hat, sollen Sie nicht ohne Schutz dastehen. Ich will es wieder gutmachen. Was die Ver- gangenheit angeht, so erwähnte ich ja bereits, dass ich mir durchaus bewusst bin, dass es nicht Ihre Schuld ist. Meine Stellung in der Gesellschaft ist dazu angetan, dass Ihnen dieses ... Missgeschick ... nie wieder zu schaffen machen wird.“
Sie starrte ihn an, erstaunt über diesen Antrag, vor allem nachdem sie so schlecht von Damien gedacht hatte. Sie senk- te den Blick, ganz beschämt von seiner Ritterlichkeit. Ob- wohl er seine Rede gut einstudiert hatte, fand sie die Unsi- cherheit des großen Kriegers absolut liebenswert.
Während er auf ihre Antwort wartete, ließ Alice sich den Vorschlag, den er ihr
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