Gaelen Foley - Knight 02
Ahnung, was Schmerz ist, Freundchen. Er kniete sich hin und zog den ledernen Gewehrkoffer un- ter dem Hotelbett hervor. Er überprüfte die Munition und stürmte aus dem Zimmer, derangiert und mit wirrem blon- den Haar. Alle Vorsicht fahren lassend, rannte er durch die elegante Eingangshalle. Er gab sich keine Mühe mehr, seine Fassade als Baron von Dannecker aufrechtzuerhalten. Der
Gewehrkoffer baumelte wie ein unförmiges Gepäckstück in seiner Hand. Bardou ließ im hoteleigenen Mietstall Staffords Kutsche anspannen und jagte dann ohne Kutscher davon. Die Fahrt dauerte nicht lange. Bardou hatte erfahren, dass die Stadtresidenz der herzoglichen Familie am Green Park lag. Hinter dem hohen schmiedeeisernen Zaun erstreckte sich ein gut gepflegter Rasen. Bardou entdeckte im Vorbei- fahren ein halbes Dutzend Wachhunde, die frei auf dem Ge- lände herumliefen. Die strenge weiße Fassade des hoch auf- ragenden Stadthauses schimmerte im Mondlicht. Bardou klatschte den Pferden die Zügel über den Rücken und fuhr um den Block zum Green Park.
Da der Park vollkommen verlassen dalag, fuhr er auf die Grünfläche und verbarg die Kutsche unter ein paar Bäumen. Der Herbstwind strich kalt durch die kahlen Äste, doch Bar- dous Augen glitzerten voll Vorfreude, als sein Blick auf die Terrasse an der Hinterseite des Hauses fiel.
Lucien Knight saß dort, die Füße auf der Steinbrüstung, und rauchte eine Zigarre. Hass durchfuhr Bardou beim An- blick seines Feindes. Die Laterne, die an der Tür stand, bot ihm genügend Licht für einen Schuss. Bei einer Entfernung von hundertfünfzig Metern befand er sich durchaus in Schussweite, doch kam er dem Anwesen nicht so nah, dass die Hunde ihn wittern und Alarm schlagen konnten. Er ließ die Kutsche stehen, ging hinter einem dicken Baum in De- ckung und öffnete den Gewehrkoffer. Rasch, lautlos und ef- fizient baute er sein Gewehr zusammen, wobei er immer wieder aufsah, um sicherzugehen, dass Knight auch noch dort saß. Das silberne Bajonett glänzte im offenen Koffer, doch das brauchte Bardou heute nicht. Er legte die Patrone in den Lauf ein. Dann ließ er sich auf den Bauch fallen, stützte die Ellbogen auf und legte an. Genieß deine Zigarre, mon ami. Es ist deine letzte.
Sein Herz klopfte vor Freude, und auf der Stirn stand ihm Schweiß. Bardou krümmte den Finger um den Abzug.
Plötzlich flog die Terrassentür auf, und der andere Knight- Zwilling kam mit einem Glas in der Hand heraus. Bardou runzelte die Stirn.
Er starrte erst den einen, dann den anderen an, unfähig, sie auseinander zu halten. Sie waren ähnlich gekleidet, hatten beide Rock und Krawattentuch abgelegt, die Westen aufge-
knöpft, die Ärmel ihrer weißen Hemden aufgekrempelt. Un- möglich zu sagen, wer der Colonel war, wenn er seinen scharlachroten Rock nicht trug.
Verdammt, wer von beiden ist Lucien? überlegte er zornig. Natürlich hätte er den Kriegshelden fast genauso gern er- schossen, aber dabei gab es ein Problem: Sobald er den einen erschoss, würde sich der andere mitsamt den Hunden auf ihn stürzen. Es würde seine schöne Mission gefährden, die er doch so sorgfältig geplant hatte.
Er atmete tief ein und fluchte. Dieser Tod ist für den eng- lischen Hund ohnehin viel zu leicht, dachte er und rieb sich erregt die Stirn. Er wollte Knight lebendig fangen, damit der Mann noch das ganze Ausmaß der Zerstörung – und damit auch seines Versagens – mitbekam. Damit hätte er Knight gezeigt, dass er, auch wenn Napoleons Armee den Krieg ver- loren haben mochte, seine private Schlacht gegen ihn ge- wonnen hatte.
Die kalte Nachtluft brachte ihn wieder zur Vernunft. Er war kein Amateur. Er würde planmäßig vorgehen und nicht riskieren, dass er im Zorn einen Fehler beging. Sobald er Lu- cien Knight in seiner Gewalt hatte, würde er herausfinden, was er Sophia angetan hatte, und ihn dafür bestrafen.
Er nahm sich vor, eine Kanonenkugel für Knight House und seine Bewohner zu reservieren, erhob sich lautlos, nahm den ledernen Gewehrkoffer und kehrte zur Kutsche zurück.
Lucien war kurz davor aufzugeben. Er wusste nicht, wo er noch suchen, was er noch unternehmen sollte. Wenigstens ei- nes war ihm gelungen – Alice hatte sich einverstanden er- klärt, am Guy-Fawkes-Abend das Haus nicht zu verlassen. Das störrische Ding hätte sich natürlich nach Hawkscliffe Hall oder zumindest nach Glenwood Park zurückziehen sol- len, aber sie weigerte sich, London zu verlassen, und daran konnte er nichts ändern.
Er
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