Gaelen Foley - Knight 03
betrachtete er sie.
Sie schluckte und baute sich trotzig vor ihm auf, obwohl sie ihm nur bis zur Krawattennadel reichte. „Wenn Sie wirklich so eng mit meinem Onkel befreundet gewesen wä- ren, hätte er Sie in seinen Briefen erwähnt. Er hat oft über die anderen Offiziere geschrieben, aber von einem Lord Winterley war nie die Rede!“
„Der Titel ist mir auch erst vor einem Monat verliehen worden. Wenn ich in Jasons Briefen auftauche, dann als Damien Knight.“
Sie erstarrte und schaute ihn aus großen Augen an. Sie wurde leichenblass. „Damien ... Knight?“
„Ah, dann haben Sie also doch schon von mir gehört“, murmelte er und kniff befriedigt die Augen zusammen.
„Damien – der Captain der Grenadiere?“
„Früher. Jetzt bin ich Colonel.“
„Damien – der mit dem Zwillingsbruder?“
Erleichtert nickte er. „Ja, genau, Lucien.“
Miranda starrte ihn an, inzwischen vollkommen durchei- nander. Captain Lord Damien Knight war das strahlende Vorbild ihres Onkels gewesen. In seinen Briefen hatten die Knight-Zwillinge immer überlebensgroß gewirkt, aber der Held der Geschichten war immer Damien gewesen, der äl-
tere von beiden. Damien, wie er die Mauern einer alten spanischen Festung erstürmte, Kanonen zurückholte, wel- che die Franzosen ihnen abgenommen hatten, sich gefähr- lichen Kavallerieangriffen entgegenstellte, verwundete Kameraden unter feindlichem Geschosshagel vom Schlachtfeld zog.
„Fragen Sie mich doch etwas über Jason, wenn Sie mir nicht glauben. Ich habe Ihren Onkel fast so gut gekannt, wie ich mich selbst kenne. Auch über Sie weiß ich eine ganze Menge.“
„Über mich?“ Rasch blickte sie auf. „Was denn?“
„Ich weiß, dass Sie diesen neuerlichen Todesfall nicht akzeptieren können, weil Sie schon Ihre Eltern verloren haben“, sagte er leise. „Sie haben mit ansehen müssen, wie sie ertrunken sind.“
Sie schnappte nach Luft und trat einen Schritt zurück. Ihr sträubten sich die Nackenhaare. „Woher wissen Sie das?“
„Jason hat dauernd von Ihnen geredet. Er hat uns abends immer Ihre Briefe vorgelesen, weil wir alle so ... verdamm- tes Heimweh hatten.“ Plötzlich nachdenklich geworden, tippte er sich an die Lippen. „Erinnern Sie sich an die Pup- pe, die er Ihnen aus Lissabon geschickt hat? Ich glaube, es war eine spanische Lady mit einer Spitzenmantille.“
Sie nickte.
„Die habe ich für Sie ausgesucht.“
„Sie?“
„Nun ja, mein Bruder und ich haben sie gemeinsam aus- gesucht“, räumte er ein. „Wir haben unserer kleinen Schwester eine geschickt und dann auch an Sie gedacht, denn seit Albuera war Sherbrooke leider ein bisschen ver- gesslich geworden.“
Das stimmte. „Nein!“ rief sie verstört aus und presste die Hände vor den Mund, als ihr endlich mit überwältigender Klarheit bewusst wurde, dass er die Wahrheit sprach. Es stimmte. Es war kein Trick, um sie zu verführen. Ihr ge- liebter Onkel war tot.
Sie bemerkte kaum Damiens stützende Hand, als Miran- da in den Sessel zurücksank, und auch seine tröstenden Worte nahm sie nicht wahr, doch als er ihr sein Taschen- tuch reichte, griff sie blind danach. Während sie weinte,
hockte Damien vor ihr wie ein großer, wilder Wachhund.
„Ich werde den Mann finden, der das getan hat, Miran- da. Das schwöre ich.“
„Und dann? Wollen Sie ihn auch noch umbringen?“ rief sie unter Tränen. „Können Sie von all dem Sterben denn niemals genug bekommen?“
Er wurde bleich bei diesem zornigen Ausbruch. „Sie können sich nicht vorstellen, wie satt ich es habe“, meinte er nach einer Weile. „Mein Freund ist tot.“
Der bekümmerte Ton in seiner Stimme überraschte sie. Abrupt hörte sie auf zu weinen – sie war nicht die Einzige, die einen geliebten Menschen verloren hatte. Nun schaute sie Damien in die Augen, sah nicht die strenge, erzengel- hafte Schönheit, sondern seine gequälte Seele, und sie spürte die Anspannung, unter der er stand, und dass er auf einem schmalen Grat zu wandeln schien.
Müde erwiderte er den Blick.
Sie hatte ihren Onkel verloren, aber sie hatte ihn schon ewig nicht mehr gesehen, und nun erkannte sie, dass dieser Mann hier einen Freund verloren hatte, mit dem er in den letzten sechs Jahren fast ununterbrochen zusammen gewe- sen war. Sie verstand jetzt, warum er letzte Nacht Trost bei einer Frau gesucht hatte.
Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie hob die Hand und berührte die kleine Narbe an seiner linken Augen- braue, und dann zog sie ihn
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