Gaelen Foley - Knight 03
Leben ein. Da er ja um ihre heimliche Karriere im Pavillon-Thea- ter wusste, betrachtete Damien sein Mündel mit verständ- nisinniger Belustigung. Wie gebannt saß Miranda zwi- schen Alice und Bel, ihren pflichtbewussten Anstandsda- men. Robert und Lucien waren ebenfalls gekommen, um das Weihnachtsspiel anzusehen. Robert stand hinten in der Loge und plauderte leise mit den fashionablen Mitgliedern der Whig-Partei, die im Theater ihre Runden drehten und immer wieder bei ihm hereinschauten, während Lucien durch sein Opernglas lieber das Publikum betrachtete statt die als Schneeflöckchen verkleideten Tänzerinnen auf der Bühne.
Damien konnte es ihm nicht zum Vorwurf machen. Das Schauspiel mit all seinen Knalleffekten, Gesangseinlagen und Tänzchen war wirklich ziemlich albern – weswegen er es bei weitem unterhaltsamer fand, Miranda zu beobach- ten. Er verdrängte seinen Zorn, weil die Polizei Jasons
Mörder immer noch nicht gefangen hatte. „Rooster“ war in die Obhut seines Bruders, des Pfarrers, entlassen worden. Haben sie also den falschen Mann eingesperrt, überlegte er. Aber irgendwann würden sie den richtigen schon noch er- wischen. Das musste er glauben. Und dann schlug er sich diese düsteren Gedanken aus dem Kopf und wandte sich wieder ganz Miranda zu.
Man hätte meinen können, der Ausflug ins Drury Lane wäre der Höhepunkt ihres Lebens. Auf ihrem Gesicht mal- te sich kindliches Staunen, jede Nuance spiegelte sich in ihren ausdrucksvollen Augen und in ihrem gebannten Lä- cheln. Ihr Anblick amüsierte ihn, und gleichzeitig wurde ihm ganz warm und weich ums Herz. Vielleicht ist das ja nur ein Anzeichen angegriffener Verdauung, dachte er iro- nisch. Jedenfalls hatte sich das Loch in seinen Ersparnis- sen gelohnt. Verstohlen betrachtete er sie. Sie hatte schon vorher gut ausgesehen, aber durch Bels und Alice’ An- strengungen war sie eine strahlende Schönheit geworden. Sie trug die erste Robe, welche die Schneiderin geliefert hatte. Bel muss sie bestochen haben, überlegte er, denn er konnte sich gar nicht vorstellen, wie viele Näherinnen von- nöten waren, damit das Kleid so schnell fertig wurde. Mi- randa sah jedenfalls atemberaubend aus. Die dunkelgrüne Seide brachte ihre smaragdgrünen Augen zum Leuchten, und das tiefe herzförmige Dekollete war eine wahre Au- genweide. Bel hatte ihr eine Goldkette mit einem hübschen Kreuzanhänger geliehen. Im hellen Licht der Theaterbe- leuchtung funkelte und blitzte er auf Mirandas cremewei- ßer Haut.
Damien riss den Blick von Mirandas Brüsten und rutsch- te unruhig auf seinem Sitz hin und her. Er verschränkte die Arme und schnippte dann einen Fussel vom Ärmel seiner scharlachroten Uniform. Als hinter ihm Gelächter ertönte, schaute er sich zu Roberts Whig-Freunden um, wandte sich dann aber wieder naserümpfend ab. Er hatte nicht viel übrig für ihre unpatriotischen Anwandlungen. Die Whigs hatten schließlich gegen die Kosten und die lange Dauer des Krieges protestiert – als hätte England einfach ignorie- ren können, was jenseits des Kanals geschah, dass Napole- on sich den ganzen Kontinent einverleibte.
Zum Glück war sein Bruder parteilos geblieben, als er
vor einigen Monaten aus der Partei der Tories ausgetreten war. Roberts Interesse an den Whigs beschränkte sich auf deren humanitäre Reformbestrebungen, auf die Erziehung der Armen und dergleichen, wogegen Damien auch nichts einzuwenden hatte.
Als die Pause kam, ertrug Damien den Ansturm der Junggesellen, die sich auf ihre Loge stürzten, vorgeblich um dem Herzog und der Herzogin ihre Aufwartung zu ma- chen, in Wirklichkeit aber, um der betörenden jungen Da- me in Grün vorgestellt zu werden. Und zu Damiens Ärger waren Bel und Alice gern bereit, jeden Hinz und Kunz mit Miranda bekannt zu machen.
Bald hielt Miranda mit der Gelassenheit einer geborenen Kokotte Hof, während Damien mit verschränkten Armen und finsterem Blick neben ihr saß und sich eingestehen musste, dass er, wenn schon nicht an blanker Eifersucht, so doch an einem Anfall von besitzergreifender Fürsorglich- keit litt. Allmählich dämmerte ihm, dass Mirandas tat- sächliche Verheiratung und seine Vorstellung davon sich ebenso drastisch unterschieden wie die Vorstellungen, welche sich die meisten Männer vom Krieg machten, und einer echten Schlacht.
Die jungen Stutzer hingen förmlich an Mirandas Lippen und staunten laut, dass sie ihr bisher noch nie begegnet waren. War sie denn schon offiziell in die Gesellschaft
Weitere Kostenlose Bücher