Gaelen Foley - Knight 03
Gefühl ver- spürte, dass jemand sie beobachtete.
Lässig schaute sie über die Schulter zurück. Auf den Gehsteigen tummelten sich die Reichen und Schönen der Stadt mit ihren Weihnachtseinkäufen, ansonsten fiel ihr nichts auf. In den sauberen Schaufenstern spiegelte sich die winterliche Morgensonne, und über die Fahrbahn roll- ten Phaetons, Curricles und andere vornehme Equipagen. Verwegene junge Gentlemen von jener Sorte, welche Lizzie die „Bond-Street-Stutzer“ nannte, lehnten an den Haus- wänden, lachend, die Hände in den Hosentaschen vergra- ben, und musterten die vorübergehenden Mädchen rüde durch ihr Monokel. Den tadelnden Blick des Lakaien igno- rierten sie einfach, und Lizzies kalte, strenge Miene ent- lockte ihnen nur ein Lächeln.
Miranda betrachtete sie neugierig. Hatte Damien etwa diese albernen, ekelhaften jungen Männer im Sinn, wenn er von ihren Verehrern sprach? Bei dem Gedanken an ihren grimmigen Vormund musste sie seufzen.
Seit ihrer Ankunft in London hatte sie ihn kaum zu Ge- sicht bekommen. Er bemühte sich wirklich erfolgreich, Distanz zu ihr zu wahren. Sie konnte von Glück sagen, wenn sie ihn bei den Mahlzeiten sah, aber da waren dann immer auch andere zugegen – was zweifellos in seiner Ab-
sicht lag. Jedenfalls hatte er nicht die Absicht, ihr eine Ge- legenheit zu geben, über den Zwischenfall zu sprechen. Beinahe achtundvierzig Stunden waren vergangen, seit er sich aus Versehen auf sie gestürzt hatte, und immer noch mied er sie.
Nun ja, nicht ganz, räumte sie ein, aber er schaute ihr kaum in die Augen. Außerdem hielt er stets mindestens vier Fuß Abstand, redete nur mit ihr, wenn es nicht zu ver- meiden war, und dann mit einer kühlen, distanzierten Höf- lichkeit, die sie schier in den Wahnsinn trieb. Sie fühlte sich so hilflos, und sie vermisste ihn einfach schrecklich. Und sie machte sich furchtbare Sorgen um ihn. Offensicht- lich hatte er ernsthafte Probleme, dieser Mann, der so viel für sie getan hatte. Er hatte ihr das Leben gerettet und ih- re Freundinnen gerettet. Er hatte ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Irgendwie musste sie ihm helfen, genau wie er ihr geholfen hatte, doch zuerst musste sie einen Weg fin- den, wie sie die unsichtbare Mauer einreißen konnte, die er anscheinend nur deswegen um sich errichtet hatte, um sie von sich fern zu halten. Immer wieder ertappte sie sich da- bei, dass sie ihn wie ein rohes Ei behandelte, nur um ja nichts falsch zu machen und ihn wieder zu verschrecken. Schließlich hatten sie und Lizzie den hübschen kleinen Schirmladen erreicht. Sie traten ein, und Miranda kaufte den zierlichen Schirm für Amy. „Die wird sich freuen! Ich wünschte, ich könnte dabei sein, wenn sie das Päckchen aufmacht!“ rief sie lächelnd, als sie wieder nach draußen gingen.
„Stört es dich, wenn ich kurz in den Buchladen schaue?“ fragte Lizzie mit einem sehnsüchtigen Blick auf die Bü- cher. Der düstere, schmale Laden war von Regalen ge- säumt, auf denen sich zahllose Werke drängten.
„Gar nicht.“ Auf dem Gehsteig vor dem Laden stand ein Karren mit Büchern und ein Ständer mit diversen Farb- drucken, um die Kundschaft anzulocken. Miranda wies auf die Drucke und sagte: „Ich sehe mir mal die Bilder an, vielleicht finde ich eines, das ich Lord Winterley zu Weih- nachten schenken kann. Er war so gut zu mir.“
„Ist recht. Es dauert auch nicht lange.“ Lizzie nickte ihr zu und trat in den Laden.
Der Lakai baute sich in der Nähe der Tür auf, um seine
Schutzbefohlenen beide im Auge behalten zu können. Mi- randa hatte das Ridikül am Handgelenk baumeln, wäh- rend sie die Drucke auswählte, die Damien gefallen könn- ten, vielleicht ein Pferdebild. Während sie so am Gehsteig- rand stand und die Drucke und Aquatinta-Arbeiten begut- achtete, war sie derartig vertieft und vom Rattern des Ver kehrs so eingelullt, dass sie das schwere Rumpeln der gro- ßen schwarzen Kutsche gar nicht bemerkte, die in hohem Tempo auf sie zukam.
„Miss FitzHubert, Verzeihung, vielleicht könnten Sie ei- nen Schritt von der Straße zurück ...“, begann der Lakai. Abwesend blickte sie auf. Der Dienstbote setzte sich in Bewegung, wurde jedoch aschfahl, als die schwarze Kut- sche überraschend ausschwenkte.
„Vorsicht!“ schrie ein Passant.
Sie erhaschte nur einen kurzen Blick auf den hässlichen verhutzelten Kutscher, der sein Gespann antrieb, als woll- te er sie mit voller Absicht überfahren. Auf der gegenüber- liegenden Straßenseite
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