Gaelen Foley - Knight 03
passiert ist. Er hätte mich umbringen kön- nen.“
„Bieten Sie ihm die Stirn, Mädchen“, riet er ihr. „Treten Sie den Dämonen, die ihn quälen, ebenso tapfer entgegen, wie er den Franzosen entgegengetreten ist. Sie sind eine Kämpfernatur, Miranda. Das habe ich gleich erkannt. Kämpfen Sie und bringen Sie uns unseren Bruder zurück. Vergessen Sie Tugend und Vornehmheit – in diesem Kampf wird uns allein Ihr Mut zeigen, ob Sie ,würdig’ sind.“
Bestürzt sank sie in sich zusammen. Er war ihr auch kei- ne Hilfe. „Wollen Sie mir nicht wenigstens verraten, zu welcher Tür dieser Schlüssel gehört?“
Sein boshaftes Gelächter hallte in ihrem Kopf nach, als er durch die Tür verschwand. „Das finden Sie schon he- raus, chérie. Wenn Sie ihn genügend wollen, werden Sie es von ganz alleine herausfinden.“
9. KAPITEL
Als Heiligabend herangerückt war, schlug Lord Lucien zur Einstimmung eine Schlittenfahrt vor. Er wollte dem klei- nen Harry die Weihnachtsbeleuchtung an den großen Stadthäusern in der Nachbarschaft und am St. James’s Square zeigen. Der Duke und seine Duchess blieben zu- rück, um Belindas altem Vater, Dr. Alfred Hamilton, Ge- sellschaft zu leisten. Bald saß Miranda in ihrem neuen Mantel und den neuen Handschuhen in den Schlitten ge- kuschelt, während sie ein Gespann mit bimmelnden Glöckchen am Zaumzeug durch den Schnee zog.
Der Schlitten war zwar nur für sechs Leute gedacht, aber sie zwängten sich zu acht hinein. Fröhlich ließen sie den Glühwein kreisen, um sich warm zu halten. Es war dunkel, aber am samtschwarzen Himmel blinkten Sterne. Lucien und Alice hatten den kleinen Harry zwischen sich, Lady Jacinda und Lizzie saßen zu beiden Seiten des verwegenen Lord Alec, und Miranda schmiegte sich an Damien.
Als sie durch den Hyde Park kamen, bat Lucien die klei- ne Gesellschaft, nicht mehr zu lachen, und wies den Fah- rer an, inmitten des verlassenen Parks anzuhalten. Gleich darauf drang über den See hinweg ein fast engelhaft an- mutender Gesang an ihr Ohr. Irgendwo wurde gerade ein Weihnachtsgottesdienst gefeiert. Sogar Harry saß still und mit großen Augen da, als sie alle der himmlischen alten Melodie lauschten. Miranda hatte das Gefühl, als stünde die Zeit still.
„Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht …“
Sie wollte den Augenblick festhalten, das kostbare und doch so vergängliche Gefühl, endlich angekommen zu sein, endlich einen Platz gefunden zu haben. Sie schaute Da-
mien an und begegnete seinem Blick.
„... schlaf in himmlischer Ruh.“
In der Dunkelheit griff sie nach seiner Hand, doch er drückte die ihre nur kurz und legte Miranda dann den Arm um die Schultern und hielt sie wärmend fest. Atemlose Stille breitete sich über die eben noch so muntere Gesell- schaft, bis die zarte Musik schließlich zitternd verklang. Leise befahl Damien dem Kutscher weiterzufahren.
Jacinda starrte sehnsüchtig auf den zugefrorenen See. „Wir dürfen nicht vergessen, zum Schlittschuhlaufen zu gehen, ehe es wieder taut. Lizzie, Miranda, wollen wir es nächsten Montag versuchen?“
Miranda schauderte und schüttelte den Kopf. „Ohne mich, danke.“
„Aber warum denn nicht?“ protestierte das Mädchen. „Das macht doch Spaß!“
„Und gesund ist es auch“, fügte Lizzie hinzu.
„Warum versuchst du es nicht?“ fragte Damien leise und vertraulich. Seine Augen glühten. Es schien niemanden zu bekümmern, dass er den Arm um sie gelegt hatte.
Sie zitterte. „Lieber nicht, vielen Dank.“ Kein noch so überzeugendes Argument konnte ihr die panische Angst vor dem Wasser nehmen.
Bald darauf leuchtete die Weihnachtsbeleuchtung von Apsley House, dem Buckingham Palace und Carlton House, dem Anwesen des Prinzregenten, und alle Anwesenden staunten.
Wieder zurück in Knight House, tranken sie Wein im Sa- lon, bis Mr. Walsh, der sich zur Feier des Tages eine rote Nelke ins Knopfloch gesteckt hatte, was seine düstere Mie- ne aber auch nicht festlicher wirken ließ, ankündigte, dass das Dinner serviert sei. Herzog und Herzogin gingen voran, danach kamen Lucien und Alice. Der alte Mr. Hamilton bot Lady Jacinda den Arm, und Lizzie folgte mit Alec, wobei sie den blonden Spitzbuben hoffnungslos anhimmelte. Zu- letzt bot Damien Miranda den Arm und schlenderte mit ihr ins Speisezimmer. Der Kronleuchter funkelte, und im Raum lag der schwache Duft von Tannenzweigen. Nie hat- te Miranda einen prächtiger geschmückten Tisch gesehen. Er war mit einer
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