Gaelen Foley - Knight 04
beugte sich vor, so dass sein Mund dicht vor ihrem Ohr war. „Wir haben gehört, was Rackford zu Ihnen über den ,Dschungel’ gesagt hat. Dort ist er also die ganze Zeit gewe- sen! Er war im Dschungel von Indien, stimmt’s? War er dort bei der Armee? Ich habe es geahnt!“
„Oh, Mr. Bentinck ...“
„Verraten Sie es uns! Kommen Sie schon, wir sind doch seine Freunde. Wenn Rack sich uns schon nicht anvertrauen will, müssen Sie es wenigstens tun. Es war Indien, nicht wahr?“ Justin schaute sie beschwörend an. „Wir werden es auch niemandem weitererzählen.“
„Meine Herren, ich kann es Ihnen nicht sagen.“
„Vielleicht überlegen Sie sich das ja noch, wenn wir Ihnen anbieten, Ihnen etwas über unseren gemeinsamen Freund mitzuteilen“, erwiderte Reg.
Sein geheimnisvoller Ton ließ Jacinda aufhorchen. „Und was sollte das sein?“
Die beiden Männer wechselten einen grimmigen Blick, dann begann Justin mit leiser Stimme zu sprechen: „Wir waren in jener Nacht dabei, als er von zu Hause weggelau- fen ist.“
„Wie bitte?“ flüsterte Jacinda fassungslos.
„Wenn Sie uns verraten, wo er all die Jahre gesteckt hat, dann berichten wir Ihnen, was wir in jener ... furchtbaren Nacht in Torcarrow beobachtet haben“, murmelte Reg.
Jacindas Herz klopfte heftig, und sie war hin– und herge- rissen. „Sie waren damals wirklich dabei?“
Beide nickten.
Kein Wunder, dass sie immer den Eindruck gehabt hatte, Rackford würde versuchen, sie von seinen beiden Schul- freunden fern zu halten. Stets hatte er dafür gesorgt, dass er anwesend war, wenn sie mit den Männern redete.
Jacinda brannte darauf zu erfahren, was sie in jener Nacht gesehen hatten, aber sie schüttelte dennoch den Kopf. „Ich kann nicht. Ich habe ihm versprochen, dass ich es nie- mandem verrate. Außerdem warte ich lieber darauf, dass Rackford es mir selbst erzählt.“
Die beiden Männer versuchten noch einmal, sie zu überre- den, aber Jacinda blieb hart. Natürlich hätte sie gerne er- fahren, was damals passiert war, aber sie wusste auch, dass sie den beiden Männern Rackfords kriminelle Vergangen- heit enthüllen müsste, wenn sie sich von ihnen im Gegenzug von Rackfords Flucht berichten ließ. Egal, wie loyal Reg und Justin auch sein mochten, Jacinda wagte es nicht, ihnen auch nur ein Wort von Billy Blade zu erzählen. Sie wollte sein Vertrauen nicht wieder verspielen.
„Entschuldigen Sie mich bitte, meine Herren, ich muss ge- hen.“ Jacinda eilte an den beiden vorbei und trat auf die kühle, mondhelle Straße hinaus. Doch ihr schwand der Mut, als sie erkannte, dass Rackford schon weg war.
Also ging Jacinda wieder hinein, suchte Robert in der Menge, teilte ihm mit, dass sie Kopfschmerzen habe, und er- bat seine Erlaubnis, schon nach Hause fahren zu dürfen. Kaum war sie in Knight House angekommen, erkundigte sie sich auch schon, ob eine Nachricht für sie gekommen sei. Sie hoffte, dass Rackford seinen Wutanfall vielleicht bereut und eine Entschuldigung geschickt hätte, aber Mr. Walsh ant- wortete, dass niemand sich gemeldet habe.
Niedergeschlagen ging Jacinda hoch in ihr Zimmer, wo ih- re Kammerzofe Ann ihr half, ihr aufwändiges Ballkleid aus- zuziehen. Jacinda schlüpfte in einen seidenen Morgenrock und entließ das Mädchen mit einem Nicken. Dann sank sie auf einen Hocker vor ihrem Ankleidetisch und betrachtete sich lange Zeit im Spiegel. Sie überlegte, was Reg und Jus- tin wohl damals in Torcarrow mit angesehen haben mochten und warum Rackford ihr nie ein Wort davon erzählt hatte. Dabei hatte sie angenommen, er hätte ihr nichts verschwie- gen. Zu unruhig, um stillzusitzen, stand Jacinda auf und lief rastlos im Zimmer auf und ab. Dann trat sie ans Fenster. Sie zog den Vorhang beiseite und blickte eine Weile auf die nächtliche Stadt. Anschließend fasste sie einen Entschluss: Sie musste ihn sehen und mit ihm sprechen.
Und zwar jetzt. Die Sache konnte nicht bis morgen war- ten.
Jacinda begann sich wieder anzukleiden.
Sie erinnerte sich noch daran, was er ihr damals in seinem Viertel erklärt hatte. Darum legte sie allen Schmuck ab und entschied sich für ein einfaches Kleid aus geblümter Baum- wolle. Dann steckte sie gerade nur so viel Geld ein, damit sie eine Mietkutsche bezahlen konnte, und trat an die Kommo- de, aus deren unterster Schublade sie ein Teakholzkästchen holte. Sie öffnete es und nahm aus der samtbeschlagenen Schatulle die kleine, elegante Damenpistole, die ihr Bruder Damien ihr damals aus Spanien
Weitere Kostenlose Bücher