Gaelen Foley - Knight 04
er sich an einen großen blonden, grünäugigen Jungen von dreizehn Jahren erinnern könne. Leise hatte Billy sich wieder zurückgezogen, die Bierhumpen abgestellt, Nate am Kragen gepackt und zu- sammen mit ihm das Weite gesucht.
Nach dieser Flucht waren sie in das Stadtzentrum vorge- drungen, wo sie wieder einmal nach Essen Ausschau gehal- ten hatten. Innerhalb von zwei Tagen hatten sie es geschafft, beide auf einem Fischerboot auf der Themse angeheuert zu werden, wo sie alle möglichen unschönen Aufgaben zu erle- digen hatten: das Deck wischen, die Fische ausnehmen und die Bilge leer pumpen.
„Nate hat es gehasst“, berichtete Rackford seinen Zuhö- rern. „Der Kapitän war ganz in Ordnung, aber seine Mann- schaft war ein wilder Haufen. Wir hatten Angst vor ihnen und sollten nur zu bald merken, dass wir die zu Recht hat- ten.“
Nachdem sie vierzehn Tage lang wie die Sklaven geschuf-
tet hatten, bekamen sie erstmals ihre zwei Shilling Lohn und die Erlaubnis, an Land zu gehen, aber spät am Abend liefen sie dem betrunkenen ersten Maat über den Weg. Die Mädchen keuchten erschrocken auf, als Rackford erzählte, wie der Mann sie brutal mit einem Messer bedroht hatte und ihnen ihre erste Bezahlung hatte abnehmen wollen.
„Wir hatten keine andere Wahl, als ihm das Geld zu geben. Er hat gedroht, dass er uns ausnimmt und unsere Leichen an die Fische verfüttert, wenn wir irgendjemandem davon ver- raten.“
„Wie schrecklich!“ rief Jacinda entsetzt.
„Danach hielten wir es nicht für weise, wieder zum Boot zurückzukehren“, fuhr Rackford fort. „Als es dämmerte, standen wir einmal mehr vor der Frage, wie wir überleben sollten. Als wir gerade am Ufer saßen und über unser Schicksal nachdachten, sahen wir die übliche Parade Aus- ternfischer bei Ebbe ins Wasser waten.“
Austernfischer, erklärte er, waren die Ärmsten der Armen, Bettlerkinder, die jeden Tag bei Ebbe das Flussbett absuch- ten, um Münzen oder Kohlestückchen zu finden, die von vorbeifahrenden Schiffen ins Wasser gefallen sein könnten, oder sie hofften sonst irgendetwas von Wert zu finden, das sie für ein paar Pennys hätten verkaufen können. Weil Nate und Blade an diesem Morgen nichts Besseres zu tun hatten, hatten sie schließlich auch die Hosenbeine hochgerollt und waren als Austernfischer ins Flussbett gegangen. Es hatte allerdings nicht lange gedauert, bis ein kleiner Cockney- Bengel auf sie zugekommen war.
„Was wollt ihr denn hier, ihr Blödmänner?“ hatte er kämpferisch gefragt. „Ich bin Cullen O’Dell, und dieses Stück Flussufer gehört mir!“
Nate und Blade waren auf der Stelle von ihm beeindruckt gewesen. Cullen O’Dell war waschechter Londoner und mitten im Stadtzentrum geboren. Als Londoner Straßen- junge hatte er früh gelernt, sich selbst durchzubringen. Auch wenn sie ihn das erste Mal beim „Austernfischen“ ge- troffen hatten, hatte er sehr schnell klargestellt, dass diese wenig prestigeträchtige Einnahmequelle nur ein Nebener- werb für ihn war. Er hatte behauptet, dass ein Junge, wenn er es nur klug genug anstellte, wie ein König in der Stadt le- ben könne. Als sie ihm erzählt hatten, was ihnen passiert
war, hatte er ihnen zu ihrer Überraschung seine Hilfe ange- boten. Er sagte, er kenne einen netten alten Mann, der ihnen etwas zu essen und einen Schlafplatz anbieten könne.
Sie waren skeptisch gewesen, aber da sie nichts Besseres in Aussicht hatten, waren sie mit ihm gegangen. Der Ort, an dem sie nach O’Dells Aussage Schutz suchen konnten, hat- te sich als schäbiges, heruntergekommenes Lagerhaus er- wiesen, in dem der alte Mann als Ausbilder von Taschendie- ben tätig war. Solange die Jungen, die er in seiner zweifel- haften Obhut hatte, Geldbörsen, Brieftaschen, seidene Ta- schentücher und dergleichen mehr nach Hause brachten, versorgte er sie mit genügend Brot, Milch und dünner Fleischbrühe, so dass sie überleben konnten und eine Art zu Hause hatten.
„Du liebe Güte“, stießen Rackfords Zuhörerinnen hervor.
„An dem Tag sind Nate und ich mit einer Gruppe von Jun- gen zu einer Hinrichtung in der Nähe von Newgate gegan- gen, wo sie die Galgen aufgebaut hatten. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Es waren sicher- lich tausend Schaulustige, die sich dort eingefunden hatten. Nate und ich hatten beide noch nie eine Hinrichtung erlebt, aber wir hatten Anweisung, uns nicht um das Schauspiel an den Galgen zu kümmern, sondern stattdessen O’Dell und die
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