Gaelen Foley - Knight 06
keine Porträts oder Landschaften hingen. Sie runzelte die Stirn und schloss die Tür. Als sie sich langsam umdrehte, fielen ihr in dem Raum, in dem sie stand, ebenfalls einige leere Stellen auf. Dort mussten einmal Möbel gestanden haben, wenn auch Statuen oder andere geschickt platzierten Kunstgebilde dies zu verbergen versuchten. An den Wänden machte sie, als sie jetzt genauer hinsah, dunklere Flä- chen aus. Hier waren die seidenen Tapeten nicht vom Sonnen- licht ausgeblichen, weil sie zuvor von jetzt verschwundenen Kunstwerken bedeckt gewesen waren.
Nun, vielleicht waren diese Gegenstände verkauft worden, um ihm zu helfen, aus dem bedrohlich tiefen und dunklen Loch herauszukommen, das er erwähnt hatte. Sie erinnerte sich an das, was er gesagt hatte über Gewinn und Verlust eines Vermö- gens am Spieltisch. Ihre erste Gefühlsregung bei der Erkennt- nis war Mitleid. Der stolze Aristokrat tat sein Möglichstes, um den Schein zu wahren – offensichtlich war das wichtig in dieser
Stadt. Sie selbst hatte heute erfahren, wie sich niemand um sie gekümmert hatte, weil sie so schmutzig aussah.
Aber dann kam ihr ein anderer Gedanke, und sie erschrak. Wenn er in finanziellen Schwierigkeiten steckte – o nein! Ihr Blick wanderte zum Ankleidezimmer. Wenn er nun den Rubin in der Schublade fand? Wenn er ihr den Schmuck wegnehmen wollte, so würde sie ihn kaum daran hindern können. Er war größer und stärker als sie.
Schon begab sie sich zum Ankleidezimmer, entschlossen, die „Rose of Indra“ wieder an sich zu nehmen. Falls Alec noch im- mer mit seiner Toilette beschäftigt war, dann musste sie ihn ab- lenken, damit er ihr Vorhaben nicht bemerkte.
Du könntest dich auch entschließen, ihm zu vertrauen, hörte sie eine leise Stimme in ihrem Kopf sagen. Vielleicht war es ihr Gewissen.
Tatsächlich, wenn sie dieser Überlegung folgte, dann wäre Alec, wenn sie seine geschmackvolle Einrichtung in Betracht zog, sogar fähig, den Wert des Edelsteins einzuschätzen. Er könnte ihr vielleicht sagen, ob er so groß war, dass sie mit ihm ihr Zuhause von Michail erwerben könnte. Aber Becky konnte sich zu dieser Möglichkeit nicht durchringen.
Wer Menschen vertraute, der verlor, das hatte sie im Laufe ih- res Lebens lernen müssen. Besser, wenn man sich auf sich selbst verließ. Dann konnte einen niemand im Stich lassen.
Ihr Entschluss war gefasst, sie wollte dafür sorgen, dass die- ser Mann, der sie hierher gebracht hatte, ehrlich blieb. In dem Moment, als sie das Schlafzimmer betrat, zeigte sich auch ihr weltgewandter Gastgeber.
„Ich dachte, du würdest inzwischen etwas essen.“ Alec kam auf sie zu, mit bloßem Oberkörper, ein Handtuch achtlos über die Schulter geworfen. Er trug eine weite Leinenhose, von der Art, die – Ironie des Schicksals – als Kosakenhose bezeichnet wurde. Er war noch dabei, sie zu schließen. Seine bloßen Füße waren auf dem Parkettboden nicht zu hören.
„Ich – ich habe auf Sie gewartet.“ Misstrauisch betrachtete sie sein Gesicht, kam aber schnell zu dem Schluss, dass er den Rubin nicht gefunden hatte.
Zum Glück.
„Ich verstehe“, sagte er liebenswürdig. „Du bist also gekom- men, um mir zu sagen, ich solle mich beeilen.“
Sie lächelte, und ihre Anspannung ließ langsam nach. „So di- rekt hätte ich es nicht unbedingt formuliert, aber im Grunde haben Sie recht.“
„Hier bin ich.“
„Kommen Sie, Ihre Suppe wird kalt.“ Sie nahm seine Hand und zog ihn zum Tisch.
„Du musst nicht mit mir teilen, Becky. Es ist alles für dich.“
„Sie sind zu großzügig. Das kann ich aber niemals allein schaffen.“
„Madam“, murmelte er und rückte höflich einen Stuhl für sie zurecht.
Sie nickte ihm zu und nahm Platz. Mit einem gewinnenden Lächeln setzte er sich neben sie, die Beine lässig übereinander- geschlagen.
„Ich hoffe, es ist alles nach deinem Geschmack. Watier’s ist bekannt für seine Nachtmahle in dieser ansonsten grauenvollen Stadt London.“
Sie lächelte. „Es ist alles hervorragend“, erwiderte sie und führte den Löffel zum Mund. „Fast so gut wie meine eigenen Speisen.“
„Du kannst kochen?“
Sie nickte und deutete mit dem Löffel auf das Gedeck, das sie für ihn vorbereitet hatte. „Essen Sie.“
Er folgte ihrer Aufforderung nicht, sie hatte das Gefühl, dass er das selten tat. Stattdessen stützte er den Ellenbogen auf den Tisch und sah ihr einfach nur zu, mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
„Was ist?“, fragte sie,
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