Gaelen Foley - Knight 06
seine langen, muskulösen Beine, das blonde Haar verdeckte die hohen Wangenknochen. Die fließenden Linien seines bloßen Rückens und die breiten, entspannten Schultern ließen sie aufseufzen.
Es fiel ihr nicht leicht, ihn nicht zu berühren, da sie doch wusste, wie warm seine samtweiche Haut sich anfühlte und wie geborgen sie sich in seinen Armen vorkam – und noch schwerer wog das Wissen, dass sie ihn verlassen musste. Es wäre so ein- fach, sich in seine Arme zu schmiegen und den Tag zu verträu- men, aber sie wusste, sie durfte ihn nicht wecken.
Er würde zu viele Fragen stellen. Vielleicht würde er sogar versuchen, sie aufzuhalten. Es hatte keinen Sinn, alles noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon war. Ihr Dorf wurde noch immer von Michail mit eiserner Faust regiert, und sie woll- te Alec Knight da nicht hineinziehen.
Es hat keinen Sinn zu trödeln, dachte sie und betrachtete sor- genvoll ihren schlafenden Prinzen. Je länger sie zögerte, desto größer war die Gefahr, dass er die Augen aufschlug. Vorsichtig erhob sie sich, um ihn nicht aufzuwecken, streifte die goldfar- benen Laken von ihren Hüften und Beinen, glitt aus dem Bett und ging nackt hinüber zum Ankleidezimmer. Der blaue Haus- mantel lag noch dort, wo sie ihn ausgezogen hatte. Beim Gehen spürte sie ein leichtes Wundsein, doch ansonsten fühlte sie sich herrlich. Stark, erfrischt und bereit, einem neuen Tag entgegen- zutreten.
Das Wasser schwamm nun trübe und kalt geworden in der marmornen Wanne. Sie wischte die Tropfen getrockneten Blutes ab, die von ihrer ersten Liebesnacht zeugten, und zog sich dann an. Es überraschte sie wenig, dass sie kein Bedauern empfand über ihre Einführung in die Leidenschaft. Ein Kind konnte sie nicht dabei empfangen haben – am Ende hatte sie verstanden, wozu Alec das Kondom brauchte.
Ihre Röcke waren noch ein wenig feucht, aber wenigstens nach dem Waschen sauberer. Während sie die einzelnen Klei- dungsstücke anlegte, nahm sie sich die Hälfte des verbliebe- nen Pfirsichkuchens, aß mit den Fingern und entwickelte einen Angriffsplan. Heute würde sie – da mochte kommen, was woll- te – den Weg zum St. James’s Square finden und dem mächtigen Duke of Westland alles erzählen, was sie in jener entsetzlichen Nacht gesehen hatte, ehe sie fliehen musste.
In der Vergangenheit hatte Becky den würdevollen und recht gut aussehenden Duke, der mittleren Alters war, bei zwei Gele- genheiten getroffen, denn er besaß ein beeindruckendes Jagd- haus einige Meilen von Talbot Old Hall entfernt. Gleichzeitig glaubte sie nicht, dass er sich noch an sie erinnerte. Westland und sein Gefolge kamen nur während der Jagdsaison dorthin, aber wenn er erschien, veranstaltete er gelegentlich Musikaben- de oder Nachmittagstees, wo er und seine außerordentlich ele- gante Tochter Lady Parthenia Westland den Landadel empfin- gen – wie es sich für Aristokraten gehörte.
Als Herrin des etwas schäbigen Landguts in der Nachbar- schaft war auch Becky zweimal eingeladen worden. Und wenn sie in Yorkshire waren, ließen sich auch die Westlands manchmal dazu herab, den örtlichen Ball zu besuchen, obwohl Becky im- mer meinte, die strahlenden Londoner würden dort ein Gähnen unterdrücken, trotz ihrer Bemühungen, höflich zu sein. Durch das Gerede auf diesen Bällen hatte sie von dem Stadthaus Sei- ner Gnaden am St. James’s Square erfahren. Heute musste sie nur noch den Platz finden und den Mut aufbringen, an West- lands Tür zu klopfen.
Als sie endlich angekleidet war, ihr Haar gekämmt und auf- gesteckt hatte, so gut es in der Eile eben ging, warf sie einen Blick ins Schlafzimmer, um sicherzugehen, dass Alec noch im- mer nicht aufgewacht war. Dann schlich sie auf Zehenspitzen zu der Mahagonikommode und öffnete geräuschlos die unterste Schublade.
Sie griff hinter den Stapel mit seinen sorgfältig gefalteten schneeweißen Hemden und tastete herum, bis ihre Finger den Rubin in dem kleinen Lederbeutel fanden. Sie nahm ihn aus seinem Versteck und befestigte ihn wieder an ihrem Strumpf- band.
Als sie ihr einziges Erbe sicher angebracht hatte, stand sie auf, glättete ihre Röcke und legte die knielange Pelerine an. Sie betrachtete sich im Spiegel und schüttelte den Kopf. Nicht zu glauben, dass sie Parthenia Westland so gegenübertreten muss- te. Sie hatte ihr Bestes getan, aber sie sah noch immer aus wie ein Dienstmädchen.
Die Tochter des Duke, weißblond, mit scharfen Zügen und vollkommen blaublütig, war alles,
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