Gaelen Foley - Knight 06
an.
Wieder breitete sie die Arme aus, genauso wie sie es zu An-
fang getan hatte – furchtlos.
Er überlegte.
Wie in Trance hielt er ihrem Blick stand, dann legte er den Kopf auf ihre Brust, das Gesicht von ihr abgewandt.
Sie sagte nichts, gab kein Wort von sich, hielt keinen Vortrag, wie es Lizzies Art war. Wobei er sich niemals vorgestellt hatte, das mit ihr zu machen, was er gerade bei Becky gemacht hatte.
Lizzie hatte er auf ein Podest gestellt, wo sie unerreichbar war für ihn, und – was noch wichtiger war – wo er es auch für sie war. Aber dies hier war Becky, die bei seinen kleinen Sündhaf- tigkeiten nicht davonlief, wie Lizzie es getan hatte. Becky hatte ihn erreicht, und nicht nur das. Sie hatte es auch geschafft, dass er mehr und mehr von ihr wollte.
„Jetzt verstehst du“, sagte er endlich.
„Ja“, flüsterte sie. „Jetzt verstehe ich.“
Sie schlang ihre weichen Arme um ihn und küsste sein Haar.
Langsam, als Becky ihn streichelte, mit einer Geduld und Zu- gewandtheit, wie er sie nie zuvor erfahren hatte, ließ die Dun- kelheit nach, die ihn umfangen gehalten hatte. Ihre Berührun- gen sagten ihm so viel. Er erfuhr Dinge, die er vermutlich nicht geglaubt hätte, wenn sie versucht hätte, sie ihm mit Worten mit- zuteilen. Er fühlte, wie sie ihn beschützte. Er fühlte ihr Mitleid. Er fühlte ihren Willen, ihn das Vertrauen zu lehren.
Und dann verstand er, dass seine Vorstellung an diesem Nach- mittag vielleicht gar nicht nötig gewesen war.
Nun, wie dem auch sei. Er lag an ihrem weißen Mieder und lächelte, froh, dass er es doch getan hatte.
9. KAPITEL
„Becky, würdest du dich bitte beeilen?“ Alec stand unten am Fuß der großartigen Marmortreppe in Knight House, schon zum dritten Mal hatte er nach ihr gerufen.
„Einen Moment noch, entschuldige!“ Sie zitterte vor Aufre- gung, als sie in den Spiegel neben der offenen Tür blickte, die letzte Gelegenheit, ihr Aussehen zu überprüfen, ehe sie sich in das abendliche Abenteuer stürzen und einen Spielsaal besu-
chen wollte.
Nach einem Tag, an dem sie geruht und sich dann mit Alecs Hilfe angekleidet hatte, konnte sie ihre eigene Verwandlung kaum glauben. Das Kleid, das er für sie herausgesucht hatte, war aus rosa Satin, verziert mit mehreren weißen Spitzenbän- dern am Ausschnitt, an den Ärmeln und am Saum. Direkt unter ihren Brüsten war eine kleine Schleife angebracht, aber am bes- ten gefiel Becky an diesem Kleid der Hut.
Die weißen Federn störten ein bisschen, aber ihr gefiel es, wie der ebenfalls rosafarbene Hut ihr Gesicht umrahmte und ihre dunklen Locken seitlich darunter hervorkamen. Sie wirkte so elegant, dass sie sich beinahe fürchtete. „Es wird gut“, flüsterte sie und strich dann ihre Röcke glatt.
„Hallo? Becky? Ich sterbe hier unten an Altersschwäche.“
„Ich komme!“ Eilig verließ sie das Zimmer, fühlte in ihrem Innern eine große Verlegenheit. Sie war gekleidet wie eine Du- chess, und sie sah aus wie eine vornehme Londoner Lady. Aber das Einzige, was sie daran hinderte, sich wie eine Schwindlerin zu fühlen, war der anerkennende Glanz in Alecs Augen, als er seinen Blick besitzergreifend über sie gleiten ließ.
„Durchaus annehmbar, chérie“, meinte er, als sie die Treppe hinunterlief. Das Geländer fühlte sich unter den weißen Satin- handschuhen unglaublich glatt an.
„Bist du sicher, dass dieses Halstuch gut aussieht?“ Ihr at- traktiver Begleiter runzelte ein wenig die Stirn, als sie sich ihm anschloss und behutsam an dem kleinen Knoten seines weißen Tuchs zupfte.
„Ich sagte es doch. Und ich tat mein Möglichstes.“
Ihn anzukleiden, war eines der amüsantesten Dinge, die sie je in ihrem Leben bewerkstelligt hatte, und dieses Privileg ver- dankte sie dem Umstand, dass sein Kammerdiener wohl letzte Woche davongelaufen war. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, jemals das Geld zu erhalten, das sein Herr ihm noch schuldete. Eine entsetzliche Situation für einen Londoner Dandy.
„Er wird zurückkommen“, hatte Alec ihr mit einem Grinsen versichert. „Mich anzukleiden, hat ihn zu einer Legende unter den Peers gemacht.“
„Du bist so herrlich bescheiden“, hatte sie ihn geneckt.
„Danke, Miss Ward. Ich bemühe mich.“
An diesem Abend trug er einen schwarzen Überrock, dessen
Schnitt seine breiten Schultern betonte. Die Weste darunter war aus schneeweißer Seide. Dazu hatte er eine graue Hose gewählt, die unten mit einem Band gehalten wurde, damit sie tadellos an
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