Gala der Herzen
Aber in Europa ist es noch Freitag, also werde ich morgen früh an meinem Schreibtisch sitzen.“
„Schon mal darüber nachgedacht, dass man sich ausgiebig amüsieren und trotzdem hart arbeiten kann?“, fragte sie provokant.
„Mag sein. Ebenso, wie du auch mehr tun könntest, als nur das hier, Lissa“, konterte er und machte eine abfällige Kopfbewegung in Richtung der Partygesellschaft. „Du solltest mehr tun als das. So verschwendest du nur deine Talente. Und dein Leben.“
Der scharfe Schmerz, der sie wie ein Messer durchfuhr, nahm Lissa den Atem. Wusste James überhaupt, wie verletzend er sein konnte?
Angesichts ihrer starren Miene umwölkte sich sein Blick. „Alles, was dich interessiert, ist, wie und wo du dich möglichst gut amüsieren kannst, oder? Und um die Konsequenzen und das Morgen machst du dir nicht die geringsten Gedanken“, warf er ihr vor.
„Ich kann nichts Falsches darin sehen, sich auf einer Party zu amüsieren.“ Was wusste er schon von ihrem Leben? Wie einsam und allein sie sich fühlte. Verlassen und krank vor Heimweh, nach einem Heim, das sie gar nicht mehr besaß. Die besten und größten Partys der Welt konnten nicht die Leere füllen, die sie zu verschlingen drohte. Aber sie halfen, davon abzulenken. Und wenigstens dort traf sie Menschen, die sie mit offenen Armen aufnahmen … anders als ihre Familie.
„Weißt du, was du in meinen Augen bist, Lissa?“, sagte James mit einer völlig veränderten Stimme. „Nicht mehr, als ein verwöhntes, verzogenes Kind. Ein einsames und verlorenes kleines Mädchen.“
Damit kam er der Wahrheit so nah, dass Lissa sich innerlich krümmte. Und plötzlich überwog die Wut über seine Anmaßung den sengenden Schmerz in ihrem Herzen. „Musst du ständig versuchen, mich zu bevormunden? Wer bist du überhaupt, dass du dir ein derartiges Urteil über mich erlauben kannst? Du kennst mich nicht wirklich, und was ich tue, geht dich absolut nichts an!“
„Nein, außer, wenn deine Partygewohnheiten deine Arbeit für mich beeinträchtigen.“
„Ich sitze jeden Morgen pünktlich an meinem Schreibtisch.“
„Und verrichte einen anspruchsvollen Job“, ergänzte er zynisch.
Lissa verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Du traust ihn mir gar nicht zu, oder?“
„Bisher hast du mir ja noch nicht das Gegenteil bewiesen, oder? Du sagst, du kannst hart arbeiten, erscheinst aber immer erst in letzter Minute und lässt auf die Sekunde genau zum Feierabend den Bleistift fallen, um endlich wieder shoppen gehen zu können.“
„Was ich außerhalb meiner Arbeitszeit …“
„Ja, ich weiß!“, unterbrach er sie gereizt. „Erspar mir das. Wichtig ist, wie du deine Arbeitszeit ausfüllst. Du blätterst in Zeitschriften, surfst im Internet und kommst immer noch nicht mit der Telefonanlage zurecht.“
Lissa fühlte sich ertappt. Das mit dem Telefon konnte er nur von Katie haben. Verlegen sog sie die Unterlippe zwischen die Zähne.
James starrte wie hypnotisiert auf ihren weichen Mund und fluchte unterdrückt auf. Dann beugte er sich vor und küsste Lissa kurz und heftig. Und genau in diesem Moment flammten grelle Blitzlichter auf …
5. KAPITEL
James hatte kaum ein Auge zugetan. Und wenn er jetzt an den vergangenen Abend zurückdachte, wurden Kopfschmerzen und miese Laune auch nicht besser.
Er sollte an die Arbeit gehen und die wichtigen Geschäftstelefonate mit Europa führen. Doch er konnte sich beim besten Willen nicht konzentrieren. Stattdessen suchten ihn unwillkommene und qualvolle Erinnerungen heim.
Nur zu gut erinnerte er sich noch an den flehenden Tonfall seiner Mutter …
„Du weißt, dass ich deinen Vater sehr liebe …“ Damals hatte er sich nur stumm zum Gehen gewandt. „Ebenso, wie ich dich liebe!“, rief sie ihm nach. Daraufhin war er gerannt, als sei der Teufel hinter ihm her.
James stand auf und machte sich auf den Weg ins Fitnessstudio. Vielleicht gelang es ihm, alte Wunden und Verletzungen im harten Work-out auszuschwitzen. Er konnte einfach nicht aufhören zu grübeln. In seinem Kopf ging alles drunter und drüber – hilflose Wut, Schmerz, Verlust, Betrug …
Seine Mutter hatte es getan, Jenny hatte es getan. Und Lissa war aus dem gleichen Holz geschnitzt. Ständig auf der Suche nach Beachtung und Bestätigung. Ein Mann würde ihr nie genügen!
Er sagte es sich wieder und immer wieder, doch es half nichts. Selbst, wenn alles, was er gestern Abend zu ihr gesagt hatte, der Wahrheit entsprach, fühlte James sich
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