Gala der Herzen
irgendwie schuldig.
Es war später Vormittag, als Lissa ihm auf sein Klingeln hin die Tür öffnete. Sichtlich überrascht, musterte sie James in seinen lässigen Sportsachen von Kopf bis Fuß. Er sich griff wie automatisch an sein kratziges Kinn und grinste reuig. Nicht einmal ans Rasieren hatte er am Morgen gedacht.
„Hast du vor, heute wieder zu den Mädchen zu fahren?“
Lissa runzelte die Stirn. „Ja, aber …“
„Ich bringe dich hin.“
„Danke, aber ich komme sehr gut allein zurecht.“
„Ich weiß. Aber es ist viel bequemer und kostet dich weniger Zeit, wenn ich dich fahre“, versuchte er sie zu überreden, zufrieden darüber, dass sie tatsächlich los wollte, und noch zufriedener mit sich selbst, weil er offensichtlich genau im richtigen Moment aufgetaucht war. „Wieder irgendetwas zu tragen?
Lissa zögerte kurz, dann wies sie mit dem Kinn auf einen eleganten Rollkoffer, der bereits neben der Tür stand. Angesichts der stattlichen Größe hob James erstaunt die Brauen. „Was ist da drin?“, fragte er neugierig und nahm ihn vom Boden auf.
„Ach, nur Mädchenkram …“ Ohne ihn anzusehen, schloss sie das Apartment ab und ging an ihm vorbei.
Doch er wollte Lissa lächeln sehen. „Was, zum Beispiel?“, fragte er heiter. „Filme? Popcorn?“
„Nein … Pediküre-Utensilien.“
James blieb stehen, und als Lissa sich zu ihm umdrehte, sah er das amüsierte Funkeln in ihren Augen.
„Irgendwann sind die werdenden Mütter so rund, dass sie nicht mehr allein an ihre Zehen herankommen.“
Über so etwas hatte er im Leben noch nie nachgedacht, und wusste auch nicht, ob er überhaupt weitere Auskünfte diesbezüglich haben wollte. „Also übernimmt die Prinzessin … also hilfst du ihnen?“, versuchte er, im letzten Moment noch die Kurve zu bekommen. Das Bild von Lissa auf Knien, die irgendjemandes Fußnägel bearbeitete, reizte ihn zum Lachen. Bis er ihre zurückhaltende, ernste Miene gewahrte.
„Als Sekretärin mag ich vielleicht eine Null sein, aber ich kann ziemlich gut mit einer Nagelfeile umgehen.“
James schämte sich und versuchte, von seinem Fauxpas abzulenken. „Puh … ich wusste gar nicht, dass Nagelfeilen so schwer sind!“
Das brachte Lissa wider Willen zum Lächeln. „Das wird wohl eher das Fußbad oder das Salz sein.“
„Salz?“
Sein entsetztes Gesicht war zu viel für Lissa, und sie brach in helles Lachen aus, in das James erleichtert einstimmte. „Das hört sich wirklich ziemlich verrückt an, oder?“
„Nein, nur ungewöhnlich. Aber ich finde es nett und bewundernswert, was du für die Mädchen tust. Meine Mutter ist eine begeisterte Charity-Lady, aber ich glaube nicht, dass sie jemals irgendwem die Fußnägel geschnitten hat.“
„Nein? Dann hat sie sich offenbar die falschen Projekte ausgesucht. Welche unterstützt sie?“
James zuckte die Schultern und bereute längst, seine Mutter überhaupt erwähnt zu haben. „Keine Ahnung. Was gerade en vogue ist, würde ich sagen. Sie ist Vorsitzende in mindestens einem Dutzend verschiedener Komitees. Das hält sie fit.“
Der sarkastische Unterton in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. „Ihr steht euch nicht besonders nahe?“, mutmaßte Lissa.
Hätte er doch nur den Mund gehalten! „Könnte man so sagen.“ Und das war noch geschmeichelt! Das endgültige Aus zwischen ihnen lag schon lange zurück …
Als James in seinem letzten Studienjahr zum Semesterende früher als erwartet nach Hause zurückkehrte, kam ihm aus dem Obergeschoss seine Mutter entgegengeeilt. Mit entsetztem Blick und seltsam aufgelöst. Und hinter ihr dieser fremde Mann – verdammt selbstsicher und mit arrogantem Lächeln nahm er lässig Stufe für Stufe.
Sie hätten über die Finanzierung einer Wohltätigkeitsveranstaltung gesprochen, erklärte seine Mutter ihm etwas atemlos. Und das im oberen Trakt, wo nur die Schlafzimmer lagen?
Hielt sie ihn denn für völlig hirnlos?
Inzwischen waren Lissa und er an seinem Wagen angelangt, der diesmal vor dem Apartmentgebäude parkte. Sich ihres forschenden Blickes bewusst, verstaute James den Rollkoffer auf dem Rücksitz. „Du weißt ja, wie Mütter sind …“
„Nein“, lautete die überraschende Antwort. „Ich stand meinen beiden Eltern nicht besonders nah. Nach einer Armada von Kindermädchen, die sich um unser Wohl kümmerten, wurde ich ziemlich früh ins Internat geschickt.“
James, der bereits am Steuer saß, wandte sich ihr zu. „Und wie ist es mit deiner Schwester?“
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