Gala der Herzen
weiß, wir sind hier in einer Avantgarde-Galerie“, fuhr Lissa fort. „Aber eine kleine Melodie, ab und an, wäre vielleicht nicht schlecht. Diese atonale Geräuschkulisse trägt nicht gerade zur Entspannung der Gäste bei. Dafür ist die Beleuchtung exzellent. Sie lenkt das Auge des Betrachters automatisch auf die ausgestellten Werke, was ja wohl der Zweck dieser ganzen Übung ist. Die Cocktails sind übrigens auch köstlich“, schloss sie lächelnd.
James hatte sich zwischenzeitlich offenbar so weit gefangen, dass er ihr Lächeln automatisch erwiderte. „Was diesen Vorfall im Treppenhaus betrifft …“
Oh nein! dachte Lissa. Nicht mit mir! Für sich selbst hatte sie jede Sekunde und jeden Aspekt, den leidenschaftlichen Kuss betreffend, unzählige Male zu analysieren versucht. Vor allem sei nen hastigen Rückzug! Und sie würde es nicht zulassen, dass er der Bürde, die sie seitdem trug, noch eine Last hinzufügte.
„Wie ich schon sagte … vergiss es. Ich habe es längst getan.“
Für einen Sekundenbruchteil blitzte etwas in seinen Augen auf, das man mit Kränkung oder Frustration hätte beschreiben können. „Ist das so?“
„Natürlich.“ Das Dauerlächeln strengte sie furchtbar an. „Es war doch nur ein Kuss, James. Nichts, worüber man noch reden müsste …“
Damit verließ sie ihn, auf der Suche nach einem dieser köstlichen Cocktails, um den sauren Geschmack der fetten Lüge herunterzuspülen, die sie ihm gerade aufgetischt hatte.
James starrte ihr hinterher, und wandte sich erst ab, als sie mit strahlendem Lächeln ein Cocktailglas vom Tablett eines jungen Kellners nahm, den sie mit einem kaum sichtbaren Wink herbeizitiert hatte, und dann mit wiegenden Hüften weiterging, während ihr seidiges Haar sacht hin und her schwang.
Wenn das nur ein Kuss gewesen war, dann musste er ein Idiot sein, weil er seither an nichts anderes mehr dachte. Wie konnte sie nur so arrogant sein? Als wenn so etwas jeden Tag passierte! Ihm jedenfalls nicht. Küsse, ja, aber nicht dieses lustvolle emotionale Flammeninferno in seinem Innern, das ihn fast in die Knie gezwungen und um mehr hätte flehen lassen.
Zur Hölle! Sie war wirklich genau wie seine Ex, Jenny!
Künstlich, aufgeblasen, substanzlos … eine reine Mogelpackung. Aber so hatte es sich für ihn nicht angefühlt. Ihr Kuss war heiß, hungrig und dann überraschend süß und sanft gewesen. Und er hatte ein Verlangen nach mehr in ihm ausgelöst. Mehr von ihr. Von ihrer Nähe, ihrer Wärme, ihrer Lebendigkeit …
Es war nicht nur ein Kuss gewesen!
Am ganzen Körper hatte er gezittert, von der Anstrengung, ihr nicht an Ort und Stelle die Sachen vom Leib zu reißen und sie zu lieben! Und sie war so anschmiegsam und willig gewesen …
Verdammt! Wenn sie jetzt behauptete, das sei alles bedeutungslos und nichts gewesen, dann log sie. So musste es einfach sein!
Sie jetzt inmitten der gewohnten Schar ihrer Bewunderer wie ein Schmetterling von einem zum anderen flattern zu sehen, brachte ihn fast um. Die Männer waren wie Motten, die vom Licht angezogen wurden, auf sie zugeströmt, sobald sie sich von seiner Seite gelöst hatte.
„Das muss ich mir nicht antun …“, knurrte James halblaut vor sich hin und beschloss zu gehen. Plötzlich fühlte er sich unendlich erschöpft.
Ein weiterer Blick in Richtung der Prinzessin zeigte ihm, dass sie bester Partylaune war. Keine Spur von Müdigkeit oder gar Langeweile. Und als er noch genauer hinschaute, musste er sich zähneknirschend eingestehen, dass es keineswegs nur Männer waren, die sie umringten. Offenbar versprühte sie ihren Charme auf sämtliche Leute in ihrem Umkreis: Männer, Frauen, Schwule, Verheiratete …
Alle waren von ihr hingerissen und schienen sich königlich zu amüsieren.
Alle, außer ihm.
Es war wirklich an der Zeit zu gehen. Ohne sich von irgendjemand zu verabschieden, strebte James entschlossen auf den Ausgang zu. Und genau dort stieß er fast mit Lissa zusammen. Als hätte sie seinen hastigen Rückzug beobachtet und sich beeilt, ihm noch zuvorzukommen.
Und diesmal war sie es, die ihn mit einem eindeutig sarkastischen Lächeln musterte. „Na, hat die Uhr schon Mitternacht geschlagen? Wartet draußen bereits die Kutsche?“
„Es ist spät, und ich muss morgen arbeiten“, erwiderte er steif. „ Ich nehme meine Arbeit nämlich ernst.“
„Aber Morgen ist Samstag, James …“, erinnerte sie ihn sanft und konnte ein kleines Triumphgefühl nicht verhehlen.
„Ich weiß, Prinzessin.
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