Galdäa. Der ungeschlagene Krieg (German Edition)
allmächtig, aber geplagt, unglücklich, verzweifelt. Bedrückt von einer Wesenheit, die viel mächtiger war als sie selbst. Begnadet und verdammt.
Erst Stunden später bemerkte Markus, dass er aus dem Schlussmotiv von »Kutembea Pt. 2« etwas entwickelt hatte, das finster und mitreißend werden könnte. Ihm wurde ganz kalt. Wenn er ein paar wahnsinnige Gitarristen fand, die bereit waren, so einen Kram einzuspielen. So eine brutale Melodie, die schier zerbarst vor Energie und Spannung. Keine Ahnung, ob diese Idee überhaupt jemals Käufer finden könnte. Das ist egal, dachte Markus, und es war, als stünde jemand hinter ihm und denke Gedanken an seiner Stelle, das ist vollkommen egal, das ist es. Der Rhythmus von heißen Lungen, die sich zu Tode keuchen, der Rhythmus von Herzen, die nahe am Zerspringen schlagen. Das kalte Gewicht der Finsternis, wie es über die Herzen der Menschen tanzt und springt. Das Klirren von berstenden Gefäßen, das mahlende Geräusch einer verzerrten Gitarre, siebenfach übereinandergemischt. Der Wahnsinn torkelt durch leere Räume, seine eigenen Schritte widerhallend an den Wänden, und immerzu wiederholen sich ein und dieselben acht leeren Zimmer; natürlich müssen es ausgerechnet acht sein.
Eine schwielige Hand packte seinen Nacken und schob ihn zu seinen Instrumenten und Rechnern hinüber. Eine leidenschaftslose, unbarmherzige Melodie, Verzweiflung und Sehnsucht, süß und scharf, unwiderstehlich, wenn jemand sie spielt, der am Rand eines glassplittergespickten Abgrunds steht. Fünf mit dem Schwung des Wahnsinns, mit schwerer Hand gespielte Celli. Die kleine geflügelte durchscheinende Fee hatte offenbar in der letzten Zeit schwer schuften müssen, dass ihr solche Pranken gewachsen waren; sie war wieder da.
Markus vergaß die Welt um sich herum, und er konnte nur hoffen, dass diese Fee nicht auf den Gedanken kam, mit den Fingern zu schnippen, so mitten in seinem Kopf, wie sie war. Eine solche Menge Magie würde ihn einfach zerreißen, dachte er.
4.
Michael Sanderstorm • 2
Das galdäische Konsulat bestand aus einer Etage in einem alten Büroturm in der Südvorstadt. Man hatte vor Jahren angefangen, die hässlichen Klötze nach und nach abzureißen – so war dieser Block zu einer herrlichen Aussicht über das Uni-Gelände gekommen. Die Löcher waren zu sehen, wo einmal zwei Reihen Wolkenkratzer nah beieinander gestanden hatten. Die Büroburgen wurden nicht mehr benötigt, seit das Verwaltungszentrum auf einen anderen Planeten verlegt und Penta V zum wissenschaftlichen Zentrum des Sektors erklärt worden war. Die meisten der verbliebenen Hochhäuser standen leer. Stumme, in der grellen Sonne schmerzhaft weiße Riesen. Manche waren in schwindelnder Höhe durch vielgeschossige Brücken miteinander verbunden, ehemals Freibäder, Parks und luftige Landschaften. Zu bestimmten Zeiten, wenn das Licht des Zentralgestirns in einem ungünstigen Winkel hereinkam, warfen die Spiegelglasfenster aller Etagen irritierende Reflexe in irgendeinen Campus. Man musste nicht unbedingt Drogen einwerfen, um von dem Anblick schwindlig zu werden.
Michael schaute vom achtunddreißigsten Stockwerk, in das ihn der Lift gebracht hatte, auf die Stadt herunter. Ihm war inzwischen klar, wieso niemand vom Konsulat wusste. Das Leben auf Penta V spielte sich längst nicht mehr hier ab. In den leeren Hüllen der vielgeschossigen Bauten hätte man sonst was verstecken können, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Abends gingen zwar Lichter hinter den Fassaden an, aber die steuerte ein Zufallsgenerator. In einigen der Häuser waren tatsächlich vereinzelt Firmen und Verwaltungen untergebracht; es handelte sich dabei nicht um Publikumsmagneten. Die Archive der Fischereiverwaltung hatte Michael auf der Tafel im Foyer gesehen, einen Verlag für wissenschaftliche Arbeiten über die voroktogonische Literatur Serafims, und eine Firma mit einem langen, komplizierten Namen, die sich im Auftrag irgendeiner Familienstiftung damit beschäftigte, den Stammbaum dieser Familie bis zum Urschleim zurückzuverfolgen. Seltsam, wofür manche Leute ihr Geld ausgaben.
Eine Hinweistafel mit der Aufschrift »Galdäisches Konsulat« gab es nicht, und eine achtunddreißigste Etage existierte überhaupt nicht, wenn man den Knöpfen im Aufzug glauben mochte. Es gab keine achte, keine achtzehnte und keine achtundzwanzigste Etage. Ein weiterer Fall von Aberglauben. Niemand würde sich auf den Platz stellen und die Fensterreihen zählen, und
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