Galdäa. Der ungeschlagene Krieg (German Edition)
anderes mehr war als ein Abfallhaufen. Es war für eine Galdani kaum vorstellbar: Es sollte wirklich Menschen geben, die unter diesem Druck eingingen oder sich selbst zum Tode beförderten, und selten kam es zu einer absolut irrwitzigen Reaktion, die lediglich zum Ziel hatte, sich selbst und möglichst viel von der Welt drum herum zu zerstören. Manchmal begann so jemand, sich Chemikalien ins Gehirn zu schießen, im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass er über kurz oder lang an dem Zeug sterben würde. Jana verdrängte augenblicklich den Gedanken an Markus und das Ycorgan.
»Wie oft geschieht so etwas?«, fragte sie.
»Etwa einmal im Jahr, wenn man alle Werften berücksichtigt«, antwortete Kaddok, »hin und wieder eben. Das letzte Mal ist über dreißig Monate her.«
Veruca Salt nickte und begann, langsam, ganz langsam, ihre Arbeit zu beenden. Sie war dabei sehr umsichtig und behutsam. In ihrem Kopf rotierten Bilder vom Krieg um Galdäa und eine exakte Zeichnung davon, wie sich der übermächtige Körper des Weltenkreuzers Armorica in seine Bestandteile zerlegte und sie alle miteinander ein wehrloses Opfer der schweren Jäger wurden, die einer nach dem anderen von der Oberfläche Galdäas starteten. Keine Breitseiten aus hochgespannter Energie, die galdäische Raumschiffe in Moleküle zerstäubten. Keine monströsen Salven, die aus dem Orbit herabschossen und die planetaren Flotten, die stumm am Boden standen, in Schutt und Asche legten. Ihre Augen zeigten ihr enorm detaillierte Gemälde, auf denen sich der bedrohliche Weltenkreuzer in einen Haufen Wracks verwandelte und kläglich unterging.
Jana dachte an die Nachrichten, die sie heute Abend in ihrem völlig schmucklosen Quartier in sich hineinsaugen würde, die Neuigkeiten aus dem Institut, die Sondersendungen mit den schrecklichen Bildern. Sie selbst war die gefährliche Patientin, die sich angeblich gegen ihre Ärzte und Pfleger gewandt und einige von ihnen umgebracht hatte. Das war ein anderes Uhrwerk, viele Rädchen, von denen einige außerhalb ihrer Fassung liefen. In den starren Augen des Pflegers, der für sie persönlich zuständig gewesen war, noch im Tod blankes Entsetzen. Ihr eigenes, schlecht retuschiertes Gesicht. Das Opfer ihrer Krankheit. Wie bedauernswert. Das Lügenspiel in den Sendungen.
»Ich verstehe«, sagte sie. »Ihr habt Angst. Angst vor dem nächsten Mal. Und dass es bald geschieht.«
Der riesige Karnese nickte und schaute auf seine Hände hinunter. Mit diesen Fäusten konnte er ohne weiteres einen Bären aus den Reservaten von Engambosch erwürgen; sie halfen ihm nichts gegen die Angst, die in ihm festsaß und die ihn bewogen hatte, diese Anfängerin zu einer Theta-Mission mitzunehmen. Vielleicht war es ja nur eine einzige solche Mission, die das lockere Rädchen im Kopf irgendeines altgedienten Arbeiters davon trennte, die kritische Umdrehungsgeschwindigkeit zu erreichen. Da war es allemal besser, einen Neuling mitzunehmen. Erst recht einen, der so phantastische Testergebnisse erreicht hatte. Da konnte wenig schiefgehen.
Es sei denn, dachte Kaddok, das Rädchen am Rande des Untergangs sei dabei, sich in seinem eigenen Kopf seiner letzten todbringenden Umdrehung entgegenzudrehen. Es gab wenig, vor dem er sich fürchtete. Dazu gehörte das Geräusch, mit dem jenes Rädchen sein eigenes Räderwerk zum Zerplatzen bringen würde.
Veruca Salt betrachtete den starken Mann, und sie spürte Mitleid.
8.
Michael Sanderstorm • 4
Die kühle große Halle der Universität schwirrte vom Widerhall vieler Schritte und halblauter Gespräche. Wohin man sah, standen Gruppen junger Leute, gingen Menschen hin und her, schritten Männer mit dicken Kollegmappen emsig einem Ziel zu. Es war deutlich mehr Betrieb heute als gewöhnlich. Es kam nicht alle Tage vor, dass sich die Technik der Uni selbstständig machte. In den Rechnernetzwerken waren grinsende Teufelchen am Werk, die Datenleitungen verstopften und jedes verfügbare Byte Speicherplatz mit rätselhaften Dateien vollstopften.
Michael Sanderstorm war vom Campus her die Stufen zur Halle emporgestiegen und musste stehen bleiben. Er war gemächlich und bedächtig gegangen; es hatte nichts genützt. Auf seinem Rücken drehte jemand genüsslich mehrere spitze Gegenstände in offenen Wunden herum.
Um ihn quirlte eine Gruppe von Kindern, die die Uni besichtigten. Michael folgte ihnen, auf diese Art hatte er einen Grund, so zu schleichen. Die stechenden Schmerzen in seinem Leib waren wabernder Hitze
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