Galgenberg: Thriller (German Edition)
Jacke an. Er sah darin aus wie ein Zuhälter, das war ihm klar. Aber in Jo’burg war das egal. Hier war jeder auf Anschaffe.
Er verließ das Flugzeug als Erster, bestellte einen doppelten Espresso, dann trat er in das bleiche Morgenlicht. Er ignorierte die Rauchverbotsschilder und zündete sich eine Zigarette an. Anschließend holte er seinen Mietwagen ab, einen weißen Golf, bog auf einen der endlosen Highways rund um die Stadt und machte sich auf den Weg nach Kempton Park. Wie sich irgendwer in einer Stadt zurechtfinden konnte, in der es keine Berge zur Orientierung gab, war Riedwaan ein Rätsel. Aber es war noch früh, und die Navi-Stimme leitete ihn zur richtigen Adresse.
Das Haus war adrett und sauber. Genau wie die vierzig Häuser links und rechts davon. Backsteinfassade. Gitter vor allen Fenstern. Ein rotes Dreirad unter einem Baum. Ein Basketballring über der Garage. Ein rechteckiger Rasen. Ein schwarzer Kia in der Einfahrt. Das Heim eines anständigen Bürgers, der sich mit aller Kraft an der untersten Sprosse der Mittelklasse festklammerte.
Riedwaan öffnete die nächste Packung Zigaretten und klopfte eine heraus. Sein Zorn verrauchte bereits.
Er drückte die Tür auf und ließ einen Stoß highveld -Luft und die rauen, fremden Schreie der hagedaschs in den Wagen. Weiter unten an der Straße glitt ein elektrisches Tor auf. Eine Sirene heulte. Die Stadt erwachte. Er stieg aus und klopfte an die Haustür.
Eine Frau öffnete ihm. Schlanke Knöchel, schwarzer Rock, weiße Bluse, Goldkette, die Augen voller Müdigkeit.
»Riedwaan Faizal«, stellte er sich vor. »Guten Morgen, Mrs Langa.«
»Mein Mann erwartet Sie schon.« Sie führte ihn ins Haus. »Zweite Tür links.«
Sie verschwand in der Küche.
Goodman Langa saß im Wohnzimmer, ein kraftvoller Mann um die fünfzig mit offenem Gesicht. Zehn Jahre älter als Riedwaan. Weniger Wut in den Augen. Mehr Resignation. Er schloss Riedwaan in die Arme und reichte ihm den Totenschein, den spärlichen Obduktionsbericht. Fotos.
»Haben Sie herausgefunden, wer mir die Fotos geschickt hat?«, fragte Riedwaan.
»War nicht einfach«, sagte Langa. »Aber ja.«
»Was bin ich Ihnen schuldig?« Riedwaan griff schon nach seiner Brieftasche.
»Nicht nur Geld kann Dinge in Bewegung bringen.«
»Ja«, sagte Riedwaan und betrachtete Langa von oben bis unten. »Die meisten Menschen würden Ihnen wohl umsonst alles sagen, was sie wissen. Haben Sie einen Namen für mich?«
»Und eine Telefonnummer«, bestätigte Langa. »Ein Farmer namens Du Randt. Er lebt draußen in den Gramadoelas und scheint da oben einer Art Bürgerwehr anzugehören. Zum Schutz der Farmen.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Sind Sie irre? Typen wie der kämpfen immer noch im Burenkrieg. Wenn die einen Schwarzen wie mich auf ihrer Farm sehen, schießen sie erst und fragen dann, ob ich Arbeit suche. Sie können selbst mit ihm sprechen.«
»Buren sind Weicheier«, meinte Riedwaan. »Man muss sie nur richtig zu nehmen wissen.«
»Wenn Sie lebendig zurückkommen, können Sie es mir erzählen«, erwiderte Langa.
»Hat dieser Du Randt den Unfall gemeldet?«, fragte Riedwaan.
»Nein – und genau das passt nicht. So wie es aussieht, hat überhaupt niemand die Polizei angerufen.«
»Die Polizisten fuhren einfach so durch die Gegend? Und fanden Rita Mkhize ganz zufällig?«
»So was kommt vor«, sagte Langa.
»Ja. Vielleicht.«
»So eine junge Frau.« Er schüttelte den Kopf. Dann stellte er einen Schuhkarton auf den Tisch. »Ihre Wertsachen.«
»Woher haben Sie die?«, wollte Riedwaan wissen.
»Aus der Pathologie des Krankenhauses, in dem sie gelandet ist«, erklärte Langa. »Es liegt mitten im Nichts. Wo man sich jede beliebige Geschichte kaufen kann. Sogar die Wahrheit ist billig. Solange man weiß, wie man danach fragen muss.«
Auf dem Tisch lag ein Ausweisheft, Rita mit sechzehn, grinsend, ein Heiligenschein aus winzigen Dreadlocks. Sie hatte nicht viel älter ausgesehen, als Riedwaan sie am Flughafen abgesetzt hatte. Eine Brieftasche. Bankkarte der Standard Bank, Kreditkarte, kein Bargeld, nur ein paar Münzen. Ein Parker-Füller mit einer Gravur. Von Agnes. Visitenkarten. Schlüssel. Eine Uhr. Auch darauf eine Gravur. Ebenfalls von Agnes. Riedwaan rätselte, wer Agnes war. Er hatte in den letzten zwei Jahren praktisch jeden Tag mit Rita verbracht und wusste nichts über ihr Privatleben. Rein gar nichts, jedenfalls nicht, dass es jemanden namens Agnes gab, dem Rita so viel
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